Mülheim. . Schulministerin Sylvia Löhrmann verteidigte in der Katholischen Akademie Wolfsburg die Gemeinschaftsschule
In der unendlichen Debatte um die richtige Schulform, die alle Kinder und Jugendliche optimal und individuell fördert, gilt die Gemeinschaftsschule neuerdings als Ultima Ratio – zumindest bei Grünen, SPD und Linken. Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung, verteidigte in der Katholischen Akademie Wolfsburg in Speldorf vor rund hundert Lehrern und Schulleitern den neuen Schulversuch, der ab 2011/12 in 14 Kommunen ganz NRW startet, gegen seine Kritiker.
Die Gemeinschaftsschule sei die richtige Antwort auf die beiden zentralen Herausforderungen an die Bildungspolitik: „Die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen darf nicht weiter vom Geldbeutel der Eltern abhängen.“ Und: „Unser Schulsystem muss bessere Leistungen der Schüler hervorbringen.“
„Wenn Kinder und Jugendliche in Milieus lebten, in denen sie ihr Potenzial nicht entfalten können, dann hat der Staat die Aufgabe, das zu tun“, begründete die Schulministerin die Einführung der Gemeinschaftsschule. Im dreigliedrigen Schulsystem werde immer noch zu stark auf die soziale Herkunft der Schüler, aber zu wenig auf ihre Potenziale geachtet. Sylvia Löhrmann: „Ich möchte, dass wir uns in unseren Schulen nicht mehr so viele sozial hoffnungslose Fälle leisten.“ Die Gemeinschaftsschule sorge für „mehr Durchlässigkeit“, also für bessere Bildungschancen, so die stellvertretende Ministerpräsidentin.
Die Gemeinschaftsschule, in der Kinder und Jugendliche von der 5. bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen und individuell gefördert werden, habe sich in Finnland oder Kanada bewährt. Diese Länder hätten bei allen PISA-Studien mit am besten abgeschnitten. „In Kanada gibt es keinen Unterschied bei den schulischen Leistungen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Dagegen liegen bei uns zwei Lernjahre im Leistungsniveau dazwischen. Rund 19% aller deutschen Schüler sind am Ende ihrer Schullaufbann nicht fit genug für eine berufliche Ausbildung.“
Indes blieb das für die Gemeinschaftschule typische pädagogische Konzept während der Diskussion vage. Zwar betonte die ehemalige Lehrerin für Deutsch und Englisch immer wieder, in der Gemeinschaftsschule gehöre das Kind mit seinen individuellen Besonderheiten in den Mittelpunkt und müsse entsprechend gefördert werden. Die Gemeinschaftsschule sei keine „Einheitsschule“. Das sei ein schulpolitischer Kampfbegriff, so die Ministerin.
Der Unterschied zur Gesamtschule, in der auch gemeinsam gelernt und individuell gefördert wird, wurde in der Debatte nicht deutlich. Auch auf mehr Lehrer und kleinere Klassen, Grundvoraussetzung für eine individuelle Förderung, machte Sylvia Löhrmann keine Hoffnung. Nur so viel ließ sie durchblicken: „Die Wochenstundenzahl der Lehrer wird gesenkt.“
Immerhin zeigte die lebhafte, sachliche Diskussion, warum sich die neue Schulform wachsender Beliebtheit erfreut und mehr als 40 weitere Kommunen beim Ministerium einen Antrag auf Errichtung einer Gemeinschaftsschule für das Schuljahr 2012/13 gestellt haben. Ursachen sind der demografische Wandel, zurückgehende Schülerzahlen und finanzielle Engpässe der meisten Städte in NRW: „Wenn wir hier nichts tun, geht es in vielen Kommunen um die Existenz der letzten weiterführenden Schulen, nicht nur im ländlichen Bereich“, betonte Löhrmann. Der Satz sei wahr: „Wenn die Schule stirbt, stirbt auch das Dorf“. Daher gebe es in vielen Kommunen „einstimmige Mehrheiten für die Gemeinschaftsschule, über die Parteigrenzen hinweg“.