Mülheim. Fast zwei Jahre lang wurde ein Geschäftsmann in der Mülheimer Innenstadt von Jugendlichen “terrorisiert“. Erst als er sich entschlossen wehrte, hörten die Pöbel-Attacken auf. Die Debatte um die Sicherheit in der Mülheimer City geht weiter.
Klaus Reimann* ist 61 Jahre alt, hat ein Geschäftslokal in einer Seitenstraße der Innenstadt angemietet – und ihm platzt der Kragen, denkt er an die aktuelle Diskussion um die Sicherheit in der City und an das anfängliche Abwiegeln der Polizei, es gebe rein statistisch – und daher objektiv – kein Problem mit jugendlichen Kriminellen.
Der Geschäftsmann hat seine eigene Erfahrung gemacht, spricht davon, „seit Mitte 2008 mindestens zehn- bis zwölfmal terrorisiert“ worden zu sein von einer Gruppe Minderjähriger. Einmal gar sei er mit einem Messer bedroht worden. Von der Polizei fühlt sich der Mann, der aus Angst vor weiteren Übergriffen seinen Namen nicht in der Zeitung sehen mag, nicht ernst genommen. Am Ende musste sich der Mann gar selbst vor Gericht verantworten – weil Reimann zwei Übeltäter bei ihrer Flucht gestellt hatte . . .
Der „Terror“, von dem der 61-Jährige erzählt, liegt freilich schon eine Zeit zurück, Bezug hat er natürlich trotzdem zur aktuellen Debatte. Begonnen habe es Mitte 2008, ein (vorläufiges?) Ende gefunden an jenem 9. Februar 2010, dazu später. Beim ersten „Besuch“ waren es fünf, sechs Jugendliche, drei Jugendliche waren es in der Folgezeit immer. Stets dabei: ein Rädelsführer, damals keine 14 Jahre alt, nicht strafmündig. „Die wissen genau, was sie tun können, und sagen, mir passiert eh’ nichts“, sagt Reimann.
Mit Messer bedroht
Er beklagt Hausfriedensbruch, Diebstahl, Sachbeschädigung, Bedrohung, Randale. Einmal gar sei er von dem besagten Anführer der Bande mit einem Messer bedroht worden, als er sich bei einem neuerlichen Überfall von seinem Stuhl erhoben habe.
Beim ersten Mal im Sommer 2008 waren die ungebetenen Gäste laut Reimann in das Ladenlokal gestürmt, „haben hier alles umgeschmissen, gepöbelt, geschrien, Spielzeug und Süßigkeiten geklaut. Sie hätten wohl nach Schulschluss – den Tornister noch auf dem Rücken – ihr zweifelhaftes Abenteuer gesucht. Der Kick beim ersten Mal spornte die Jungs offenbar an, sie kehrten nun in unregelmäßigen Abständen wieder, immer aber am helllichten Tag, zwischen 14 und 16 Uhr. Sie hätten ihm im Vorbeigehen mutwillig die Schaufensterscheibe zerkratzt, später mal die Tür fast eingetreten, als er diese aus Angst vor weiteren Attacken schon abgeschlossen habe, wie er es heute noch stets zu tun pflege, wenn er alleine im Büro sei.
Die ersten beiden Überfälle meldete Reimann der Polizei. „Dort waren sie gar nicht richtig interessiert, meinen Ausführungen zu folgen“, ärgert sich der 61-Jährige. Man habe die Vorfälle mit „Dumme-Jungen-Streiche“ abtun wollen. Außerdem konnte Reimann die Namen der Jungs nicht nennen. Was solle man da tun ... Fortan machte sich der 61-Jährige erst gar nicht mehr auf den Weg zur Polizei, um Vorfälle anzuzeigen. Die Polizei im Notfall anzurufen, habe ja auch keinen Sinn gemacht. „Die Polizei braucht mindestens fünf Minuten. Bis dahin sind die doch über alle Berge.“
Jungs verfolgt
Am 9. Februar 2010 dann sind laut Reimann wieder drei randalierende Jungs da, die sich gewaltsam Zutritt in die Räume verschaffen wollen. An der verschlossenen Eingangstür scheitern sie, treten immer wieder dagegen, rütteln vehement am Türgriff, schlagen gegen die Scheibe. Zehn Minuten lang pöbeln, lärmen, schreien, beschimpfen und beleidigen sie Reimann von außen. Erst ignoriert der 61-Jährige den Terror, dann steht er doch von seinem Schreibtisch auf und geht Richtung Tür.
Die drei Übeltäter ergreifen die Flucht. Reimann nimmt diesmal die Verfolgung auf, erwischt zwei der Jungs an einer roten Fußgängerampel. Der Verkehr ist so dicht, dass sie nicht über die Straße kommen. Reimann kriegt die Namen heraus, auch den des erfolgreich geflüchteten Anführers. Währenddessen hält er einen der Jungs an der Schulter fest. Er habe ihn nicht härter angefasst, beteuert Reimann.
Mit dem Namen des Rädelsführers erstattet der Geschäftsmann Anzeige. Das Verfahren wird erst gar nicht aufgenommen. Der Beschuldigte ist strafunmündig. Doch nun dreht sich der Spieß um. Plötzlich ist Reimann selbst angezeigt – er habe ihren Sohn „brutal zusammengeschlagen“, behaupten die Eltern eines der Jungen. Warum Reimann ihm hinterhergeeilt ist, habe sie überhaupt nicht interessiert. Reimann kann es heute noch nicht fassen, wie er vom Opfer zum vermeintlichen Täter gemacht worden sei. Auch vor Gericht sieht sich Reimann in die Täterrolle gedrängt: Er habe gar nicht hinter Leuten hinterherzulaufen, habe ihn der Staatsanwalt gemaßregelt. Letztlich wird das Verfahren gegen ihn aber eingestellt – „wegen Geringfügigkeit“, heißt es auf Nachfrage beim Amtsgericht.
Sorge bleibt
Reimann sieht weiter ein Problem mit kriminellen Jugendlichen in der City. Aus Angst vor Übergriffen hätten Geschäftsleute in seiner Nachbarschaft schon kräftig in sichere Schließanlagen investiert. Ihn ärgert, dass das zuletzt häufig beklagte Problem von der Polizei „verharmlost wird, nach der Statistik passiert ja nichts“. Er sehe ja ein, dass Jugendliche unter besonderem Schutz stünden, „aber es kann doch nicht sein, dass sie sich alles erlauben können, weil sie nicht belangt werden können“.
Er hat Sorge. Nach seinem Befinden treiben Jugendbanden weiter ihr Unwesen in der Stadt. Jeden Tag läuft Reimann auf dem Weg zur Arbeit durchs Forum. Dort seien Handtaschendiebstahl, übelste Pöbeleien, auch Bedrohungen Jugendlicher untereinander doch gang und gäbe. „In mein Büro setzt keiner mehr ungestraft seinen Fuß rein. Dann nehme ich mein Notwehrrecht in Anspruch“, sagt Reimann. Das hat er vor einem Jahr auch den Jungs klargemacht, die er erwischt hat. Seither hat er Ruhe vor ihnen.
* Name geändert