Mülheim. . Einige Mülheimer Karnevalsvereine klagen seit längerem über schwindende Mitgliederzahlen. Doch einige entwickelten Konzepte gegen den Schwund: Partys statt Prunksitzungen, Ausflüge und Grillabende sollen Jugendliche für den Karneval begeistern.

Volle Prunksitzungen, gut besuchte Rosenmontagszüge, ein närrisches Vereinsleben jenseits der Session – bis Ende der 1980er Jahre ging es den Mülheimer Karnevalsvereinen richtig gut. Nachwuchssorgen?

Die Kinder machten es den Eltern nach, erinnert sich Heino Passmann, Vorsitzender der Prinzengarde Rote Funken 1958, Vize des Gross-Mülheimer-Karnevals. Er stellt aber fest: „In den 90ern schlief das Vereinsleben ein.“

Nicht alle Vereine klagen über Mitgliederschwund, die Vereinsarbeit ist jedoch gewachsen: Die organisierten Jecken sind stärker gefragt, nicht nur für das Brauchtum, sondern den Nachwuchs zu sorgen. Die „Erbfolgen“ funktionieren eben nicht mehr wie früher, es ist umgekehrt: „Die Jungen ziehen ihre Eltern in den Verein“, gibt Passmann zu bedenken.

Kein Geheimrezept, aber verschiedene Konzepte

Karnevalsgesellschaften müssen daher neue Wege beschreiten, um die Jugend in ihren Bann zu ziehen: „Wir müssen aktiv gucken, dass wir unseren Stand halten können“, ist der Funken-Präsident überzeugt. Doch wie gewinnt man junge Menschen?

Das Geheimrezept gibt es nicht, aber unterschiedliche Formeln. Bei den Roten Funken setzt man auf Jugendarbeit und den Gardetanz, „dort haben wir großen Zulauf“, so der Vorsitzende. Schließlich hat sich der Tanz seit Jahren zu einem Turnier-Sport gewandelt. Das zweite Standbein – nicht nur der Funken – ist die „klassische Jugendarbeit“, beschreibt Passmann: Ausflüge, Grillen, Spiele, Zelten veranstalten viele Vereine das ganze Jahr über. Nicht zuletzt deshalb ist das Verhältnis von Jung zu Alt bei den Funken ausgewogen: 60 Kinder und Jugendliche mischen hier mit – fast die Hälfte der Mitglieder.

Lara Heun (21) ist Jugendbeauftragte der Roten Funken und seit zehn Jahren dabei: Auslöser war ihre Schwester, die zum Tanz wollte. „Am Anfang dachte ich noch: Karneval? Naja“, gibt sie zu. Das hat sich geändert. Der Tanz, die Kostüme, das Rampenlicht reizen sie. Das sei auch in ihrer jungen Gruppe so: „Manche interessiert nur das Tanzen, andere sind eingefleischte Jecken.“ Der Karneval verändert sich – ein Umschwung? „Ja“, glaubt Heun, „man achtet stärker auf die Jugend. Ich finde es gut, die Vorstände sind ja nicht unsere Generation. Manche Elemente werden bleiben, aber es geht mehr zu Partys.“

Partys und Diskussionsgruppen statt Büttenreden

Einen Jugendsprecher haben übrigens alle Gesellschaften – funktioniert die Frischzellenkur? Bei der KG Röhrengarde Silber-Blau 1958 etwa mischt ein gutes Drittel junger Menschen mit. Doch die wollen anders feiern als die Alten: Party statt Programm, ins Gespräch kommen statt inszenierter Lustigkeit. Bei der Röhrengarde heißt das auch gleich anders: „Jeckenparty“. Die steigt zum ersten Mal am 26. Februar. Auf ein typisches Karnevalprogramm hat man bewusst verzichtet, sagt die Vorsitzende Elli Schott. Der DJ ersetzt den Büttenredner und „Tanzmariechen“ findet man eher auf dem gemeinsamen Dancefloor. Verkleidung? Nicht notwendig, aber man darf natürlich.

Bei der KG Blau-Weiß 1947 schätzt man das „sowohl als auch“. In der Karnevalswoche gibt es Veranstaltungen für jeden Jecken. Doch etwa bei der Altweiber-Fastnacht geht man deutlich in Richtung Party. Das ziehe ein jüngeres Publikum. Am Freitag kümmert sich Blau-Weiß mit einem Kinderkarneval um die wichtige junge Zielgruppe.

Liebhaber des traditionellen Karnevals können ja ruhig zur Prunksitzung gehen, am Montag steigt aber wieder eine Party im Altenhof. Und beim ungezwungenen Feiern „werden viele zu Mitgliedern“, sagt der Funken-Chef. Entscheidend für Jecken ist häufig auch der Preis. Die Gesellschaften senken Eintrittspreise und Mitgliedsbeiträge, suchen Sponsoren für Kostüme etwa der Kindergarde, um den Einstieg zu erleichtern. Die Zeit drängt: „Wer mit 14 Jahren noch nicht dabei ist, zeigt auch später kein Interesse“, glaubt Heino Passmann.