Mülheim. Siemens gab seinen Mitarbeitern in Deutschland eine Beschäftigungsgarantie bis 2013. Eine Tariferhöhung wird vorgezogen, erste große Neuaufträge sind da. Im WAZ-Interview spricht Betriebsrat Pietro Bazzoli über Chancen und Gefahren des Erfolges.
Im Vorjahr hat Siemens erstmals allen 128.000 Beschäftigten in Deutschland eine Beschäftigungsgarantie gegeben: bis 2013. Kurzarbeit wurde auch in der Jahreshälfte 2010 kein Thema; statt dessen kamen die ersten großen Neuaufträge rein. 2010 wurden eine neue Fertigungshalle und ein neuer Verwaltungstrakt, ein Invest von 40 Mio Euro, eingeweiht. Zum 1. Februar zieht Siemens die Tariferhöhung vor. Mit Siemens-Betriebsrat Pietro Bazzoli sprach WAZ-Redakteur Mirco Stodollick.
Herr Bazzoli, Sie müssten zurzeit ein rundum zufriedener Betriebsratsvorsitzender sein.
Pietro Bazzoli: Es macht Spaß, in einem erfolgreichen Unternehmen mitzuarbeiten, das macht die Gestaltung als Interessenvertreter auch einfacher. Allerdings zahlen wir für den Erfolg einen großen Preis. Die Belegschaft ist permanent großem Druck ausgesetzt.
1100 Jobs sind seit 2005 am Standort geschaffen worden, aktuell sind es 4600. Mülheim ist der bedeutendste Siemens-Standort in NRW. Sind Sie stolz darauf?
Bazzoli: Grundsätzlich bin ich erst mal stolz auf diesen Betrieb. Allerdings gibt es auch Gefahren im schnellen Wachstum. Wir haben Ende der 90er, Anfang 2000 viel Personal abbauen müssen, da ist auch viel Erfahrung von Bord gegangen. Neue Kollegen müssen eingearbeitet werden, wir haben weder in der Fertigung noch in den Büros kurze Einarbeitungsphasen. Ich glaube, dass das Management immer mehr die Einsicht hat, Erfahrung an Bord zu halten.
Jüngst ein weiterer Großauftrag: In Südkorea wird ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk mit einer weltrekordverdächtigen Gasturbine gebaut. An der Forschungs- und Entwicklungsarbeit dafür war Mülheim maßgeblich beteiligt. Was ist noch zu erwarten?
Bazzoli: Die Herausforderung ist sicher, wie wir a) saubere Technologie erzeugen können und wie wir b) im weltweiten Konkurrenzkampf bestehen. Der Standort hat es bisher immer geschafft, durch Prozessverbesserungen und neue Fertigungstechnologien schneller und günstiger zu sein. Es ist schon erstaunlich, wie viele Ideen Mitarbeiter zur Qualität und Produktivität haben. So lange wir so eine Belegschaft haben, werden wir auch dem Wettbewerb standhalten. Und wenn wir viele Kraftwerke verkaufen, ist unser zweites Standbein gefragt: der Service.
Was ist die Beschäftigungsgarantie bis 2013 wert?
Bazzoli: Ich finde es bewundernswert, dass der Vorstand sich zu den Kollegen bekennt. Allerdings glaube ich nicht, dass dies ein Persilschein ist. Letztlich muss jeder Standort beweisen, dass er wettbewerbsfähig ist.
Wann mussten Sie zuletzt das Vorgehen der Betriebsleitung kritisieren?
Bazzoli: Wir leiden als Interessenvertreter bei Siemens darunter, dass immer mehr zentralisiert wird. Die Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort sind dann oft eher gering. So gab es, als weniger Aufträge reinkamen, eine unterschiedliche Auffassung davon, welches Instrument in welchem Ausmaß zum Gegensteuern gewählt werden sollte. Wir haben trotzdem, Gott sei Dank, nach allen Gesprächen mit der Betriebsleitung die Einstellungszahl der Auszubildenden in Mülheim gehalten. Ein anderes Thema ist die vereinbarte Sonderzahlung von 1000 Euro für 2010 aufgrund des guten Ergebnisses der Siemens AG. Hier gibt es die Diskussion, ob der Anteil der Beschäftigten im Vergleich zur anstehenden Dividenden-Ausschüttung angemessen ist. Wir müssen gucken: Was wird in Köpfe und Maschinen investiert? Welche Zukunftssicherung bekommt der Standort?
Was sind die Ziele des Betriebsrates für 2011?
Bazzoli: Unser Ziel sind gesunde Mitarbeiter. Wir werden Wert legen auf eine Führungsqualität, die darauf achtet, dass Mitarbeiter nicht überfordert werden und sich präventiv um ihre Gesundheit kümmern. Wir haben mittlerweile eine Führung, die Ziele vorgibt und der es egal ist, wie Mitarbeiter diese erreichen. Da müssen wir wieder ein anderes Bewusstsein schaffen. Der Weg, wie der Mitarbeiter zum Ziel kommt, muss auch Führungsaufgabe sein.
Noch ein anderes Ziel?
Bazzoli: Wir brauchen Innovationen. Damit Mitarbeiter Ideen entwickeln können, brauchen sie Freiräume. Und: Wenn es Ideen gibt, muss es auch Investitionen geben. Nichts ist demotivierender, als wenn gute Ideen aus Kostengründen nicht umgesetzt werden.