Ganz ohne doppelten Boden: Intendant Roberto Ciulli führte am Sonntag hinter die Kulissen des Theaters an der Ruhr und lüftete Vorhänge.

Das Mikro bleibt heute stumm, den schwarz-lackierten Holzstuhl rückt Roberto Ciulli nach vorne: Ganz nah will er dem Publikum sein. Die Atmosphäre im Salon des Theaters an der Ruhr riecht nach Verschwörung: Eine Reise hinter die Kulissen beginnt, zu den Ideen und dem Konzept eines Theaters der Stadt, das kein Stadttheater sein will.

Das erste Geheimnis lüftet der Italiener Ciulli schon vor Reiseantritt: „Wenn ich über Philosophie spreche, dann auf Deutsch und nur langsam. Das mache ich auch in Italien so. Italienisch kann man gut singen, aber man kann nicht Deutsch sprechen mit italienischer Emotionalität.“

Eine Sensation war das TAR von Anfang an und in vielerlei Hinsicht. Inhaltlich begann es 1981 mit „Lulu“ und einem Knall, und das waren keine Sektkorken: die Mülheimer Premiere von der Kritik zerrissen, aus 13 geplanten Gastspielen am Düsseldorfer Stadttheater wurden wenige. Ciulli erinnert sich an den ersten Auftritt in der Rheinstadt, als er mit spielerischer Lockerheit vor das Publikum trat, um es vorzubereiten: „Hände aus den Taschen“, fuhr man ihn an. Viele blieben an diesem Abend nicht bis zum Schluss – „es ist wie beim Surfen auf einer Welle“, überlegt Ciulli, „wenn man zu weit vorne ist, fällt man herunter. Heute würde man bei Lulu begeistert applaudieren.“

Eine Sensation war das TAR erst recht in seiner Finanzierung. Unten, in den Lagerräumen zwischen den Requisiten, lässt der Intendant den Vorhang fallen: Während Theater in anderen Städten Anfang der 1980er Jahre noch über nahezu 90-prozentige Subventionierung verfügten, sollte das TAR nichts kosten – angeblich, denn das sei eine politische Flunkerei gewesen.

Und ein Satz, der der Kulturinstitution bis heute kritisch nachhängt. „Ich hatte eine Million D-Mark kalkuliert“, deckt der Intendant auf, die Kulturpolitik habe das damals jedoch nicht hören und erst recht nicht öffentlich machen wollen. 3,6 Mio. Euro sollen heute ins TAR fließen, und dennoch finanziert es sich zu fast 40 Prozent aus Eintritten sowie Verkäufen von Inszenierungen an Spielorte in der ganzen Republik. „Mein Büroschreibtisch ist übrigens noch aus den 80er Jahren, falls sie fragen, wohin die Subventionen fließen“, lächelt Ciulli. „Ich bin beeindruckt, mit welchen spartanischen Mitteln Sie so ein traumhaftes Theater spielen“, entfährt es einer Dame der „Reisegesellschaft“.

18 Produktionen könne man innerhalb von 24 Stunden auf die Bühne bringen, so Ciulli. Das eigentliche Kapital schlummert also als Requisite im Lager und als Repertoire in den Köpfen, von denen einige von Anfang an dabei sind – auch so ein Bruch mit dem Stadttheater, dessen Team und Programm sich alle fünf Jahre austauschen.

Der letzte Gang führt vom Lager auf die Bühne – „für mich der Ort der Magie“, sagt der Regisseur. Obendrein ein internationaler Ort: Hier spielen Produktionen aus Afrika, Iran, Türkei und anderen Ländern. Was aber macht die Magie aus? „Der Zufall“, antwortet Ciulli und erzählt vom Plattenspieler, der in einer Psychiatrie-Szene den Dienst versagte. „Ich war sauer, aber es passte zur Szene, die von der Fantasie erzählte.“ Das wichtigste sei eben das Publikum: „Eine Masse kommt ins Theater und geht als Individuen heraus.“ Das ist wahre Magie.