Mülheim. .
Das Schloß Broich kommt unter den Hammer. Das Hafenbecken wird von Kreuzfahrtschiffen angesteuert. Mülheim bekommt ein Helge-Schneider-Depot. Die Redaktion hat in die Glaskugel geschaut. Eine nicht ganz ernst gemeinte Vorschau auf 2011.
Schloß Broich: Zum Ersten, zum Zweiten . . . und zum Dritten: Das Schloß Broich kommt unter den Hammer. Die Stadt hat nicht genug Geld für die Sanierung des bröckelnden Anwesens auftreiben können. Versucht hat sie ja alles. So hat sie die komplette Ringmauer abtragen lassen und einzelne Mauerstücke von Ein-Euro-Jobbern auf der Schloßstraße an Touristen verkaufen lassen. Es reichte nicht. Jetzt versteigert sie die Immobilie. Ein reicher Mülheimer Investor erhält den Zuschlag. Er wird von Denkmal-Auflagen befreit und wandelt das Schloss in luxuriöse Penthouse-Wohnungen um.
Düsseldorf, Staatskanzlei: Ein Bus schafft die komplette SPD-Ratsfraktion samt Verwaltungsspitze – nur Kulturdezernent Peter Vermeulen muss zu Hause bleiben – nach Düsseldorf in die Staatskanzlei. Dort findet ein Workshop für die Mülheimer Sozialdemokraten statt, geleitet von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft höchstselbst. Thema des Workshops: „Wie man mit einer Minderheitsregierung Erfolge feiert“. Fraktionschef Dieter Wiechering gewinnt am Tag in Düsseldorf den Glauben an die Gestaltungskraft seiner Partei wieder: „Zurück fahren wir nicht mit dem Bus. Zurück fliegen wir mit der kleinen Düse. Zum Geschäftsflughafen!“
Promenade: Das Hafenbecken ist gerade geflutet, da wird es auch schon vom ersten Kreuzfahrtschiff angesteuert. Hunderte wohlhabende Passagiere aus den Arabischen Emiraten strömen in die Innenstadt und kaufen die Geschäfte leer. Mit der Auswahl sind sie grundsätzlich höchst zufrieden, ein Scheich aber wendet sich achselzuckend an City-Manager Dennis Fischer: „Wo kann man denn hier Jagdfalken kaufen?“ Fischer ist entzückt. Endlich die zündende Idee, um Leerstände mit Leben zu füllen.
MVG-Betriebshof: Die letzte Straßenbahn der MVG hat den Geist aufgegeben. Der Betriebsrat stimmt einer Umschulung der Fahrer zu. In einer von der Arbeitsagentur geförderten Maßnahme in Brandenburg werden sie nun zu Kutschern ausgebildet. Aus dem Rheinhessischen Postmuseum in Erbes-Büdesheim beschafft sich die MVG derweil historische Postkutschen. Bei der Jungfernfahrt über die Kaiserstraße hoch kommen die Gäule reichlich ins Schnaufen. MVG-Chef Klaus-Peter Wandelenus aber ist sich sicher: „Mit dem Kutschbetrieb können wir unseren Kunden jetzt auch ein Pünktlichkeitsversprechen geben.“
Depot Speldorf, Ruhrbania: Der eine Stratmann hat seinen Mondpalast in Wanne-Eickel, der andere „Stratmanns Theater“ in Essen. Mülheim bekommt jetzt: das Helge-Schneider-Depot. Der Klamauk-Papst und Jazzer kauft das Depot an der Duisburger Straße in Speldorf und baut es zu einer Konzerthalle für eigene Zwecke um, Katzeklo inklusive. Fortan steht Helge hier jeden Tag auf der Bühne. Die Mülheimer Stadtmarketing und Tourismus GmbH kommt kaum nach, die Ticket- und Übernachtungsanfragen aus ganz Deutschland zu bearbeiten. Kondor Wessels, der auf dem Ruhrbania-Baufeld I immer noch nicht in die Gänge gekommen ist („Zu viel Regen“, „zu heiß“, „keine Lust jetzt“), überlegt, ob er doch lieber ein Hotel für Helge-Fans baut. Er plant um.
Hauptbahnhof: Sie will ja nicht umsonst so viel Geld investiert haben: Die Bahn AG lässt ab sofort wieder Intercity-Züge am Mülheimer Hauptbahnhof halten. Weil so viele Bahngäste nun in der Ruhrstadt ein- und aussteigen, wandelt die Stadt kurzerhand die Freifläche am Klöttschen, die eigentlich Bauland werden sollte, in einen Parkplatz für Pendler um. Europcar eröffnet dort eine Autovermietung.
Theater an der Ruhr: Intendant Roberto Ciulli hat gute Vorsätze fürs neue Jahr gefasst und will volksnahes Theater machen. Ab März lässt er sein Ensemble in einer Improvisation immer montags den Tatort vom Vortag nachspielen. Ciulli selbst lässt sich extra dafür seine Haarpracht rasieren und spielt den Kommissar Schenk aus dem Kölner Tatort. Bald schon wird das Programm um die Lindenstraße ergänzt. Die Tickets gehen weg wie warme Semmeln.
A40: Das Stillleben auf der Autobahn wird auf Geheiß der Landesregierung wiederholt, diesmal wird der Verkehr gar eine Woche lang verbannt. Thema ist nicht die Alltagskultur, sondern es wird ein Fest deutscher Vereinsmeisterschaften. Zwischen Heißen und Kreuz Kaiserberg tummeln sich Geflügel- und Taubenzüchter, mittendrin wird eifrig „Katten gekloppt“ – natürlich sind die Skatvereine mit von der Partie.
Jugendherberge: Mit einem unschlagbaren Gebot – einem leibhaftigen Goldesel samt Stall, Futter und Pflegepersonal – tritt ein anonymer Investor auf den Plan und wirbt um das denkmalgeschützte Haus. Die Stadt gibt ihm sogleich den Zuschlag und saniert, dank des produktiven Tieres, innerhalb einer Woche ihre Finanzen. Derweil verwandelt sich das Haus am Hang wie von Geisterhand in ein Märchenschloss. Zutritt haben nur Kinder unter 15. Sie kommen in Scharen und wollen gar nicht mehr heim. Aufgebrachte Eltern demonstrieren vor dem kunstvoll geschmiedeten Tor.
Innenstadt: Ein von der Stadt in Auftrag gegebenes, 100 000 Euro teures Gutachten bestätigt, was Bürger schon immer vermutet hatten: Die neue Verkehrsführung in der Innenstadt bringt zur Rush Hour im Berufsverkehr einen Verkehrskollaps am Berliner Platz mit sich. Baudezernentin Helga Sander schart sofort eine Expertenkommission um sich. Drei Monate später ist ein neuer Plan ausgeheckt. Die Stadt baut eine neue Hochbrücke. Sie setzt an der Schlossbrücke an und führt auf direktem Weg ins Forum-Parkhaus. „So ein Overfly hat sich andernorts bewährt, um den Verkehrsfluss deutlich zu verbessern“, so Sander. Die Händler der Schloßstraße hegen leichte Zweifel, ob ihnen das 45-Millionen-Euro-Projekt was bringt. Die Leineweberstraße soll derweil aufblühen. Es kursieren Konzepte für eine Partymeile nach Vorbild des Bochumer Bermuda-Dreiecks. Natürlich will die Stadt dort auch ein paar überdimensionale Baumkübel platzieren.
Auf der Heimaterde: Im letzten Jahr der Kobra-Alarm, im Oktober 2011 wird die Heimaterde von einer Eichhörnchen-Plage heimgesucht. Die kleinen Nager rasen zu Abertausenden durch den Stadtteil und fressen alle Nüsse von den Bäumen. Selbst vor den Supermärkten machen sie keinen Halt. Das THW reagiert und schickt Hilfstransporte in den Osten der Stadt. Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld reist ins Katastrophengebiet und spricht den Menschen Mut zu.
Rathaus: Auf Bestreben der Stadtkanzlei wird vor dem sanierten Rathaus, kurz bevor es an einen amerikanischen Hedgefonds verkauft wird, eine Meckerecke eingerichtet. Fortan ist sie immer montags fest gebucht von der Hartz-IV-Demo, die restlichen Tage nach Einweihung im Dezember blockiert MBI-Fraktionssprecher und Wutbürger Lothar Reinhard die kleine Bühne. Er hat all seine anprangernde Prosa der vergangenen Jahre mitgebracht. Bibbernd steht er nun da, festgefroren im Schnee. Die MEG sieht sich außer Lage, Reinhard zu befreien. Wieder mal ist kein Salz mehr da.