Mit den ersten Schneeflocken kommen die ersten Streitigkeiten – um die Zuständigkeiten beim Räumen und Streuen. Täglich gehen beim Mülheimer Mieterschutzbund zahlreiche besorgte Anrufe ein.

Wer ist zuständig, den Gehweg von Schnee freizuschaufeln? Was passiert, wenn der Zuständige körperlich nicht dazu in der Lage ist? Gerade ältere Menschen, die im Parterre wohnen, sind betroffen – Schneefegen ist Schwerstarbeit. Doch wenn es im Mietvertrag nicht anders geregelt ist, sind auch ältere oder kranke Mieter verpflichtet zu räumen. Der Mieterschutzbund rät daher, sich in innerhalb der Hausgemeinschaft zu verständigen.

Von solchen Unstimmigkeiten kann Ursula Nabbefeld viele Geschichten erzählen: Das Schneeräumen schafft die 64-Jährige nicht mehr, da sie an einer Lungenkrankheit leidet, die ihr das Atmen erschwert – das hat ihr der Arzt attestiert. Bislang schaufelt Nabbefelds Nachbarin, die ebenfalls im Erdgeschoss wohnt, alleine vor dem Haus an der Straße Auf dem Bruch – jeden Morgen vor 7 Uhr. Doch so gehe es nicht weiter. Bereits im vergangenen Jahr hatten die beiden Damen aus dem Parterre einen Winterdienst kommen lassen. „164 Euro hat jeder von uns dafür bezahlt“, sagt Nabbefeld. Von ihrer kleinen Witwenrente und dem Arbeitslosengeld sei das kaum zu leisten. Die 64-Jährige beklagt sich über ihren Vermieter SWB (Service-Wohnungsvermietungs- und -baugesellschaft), der die Kosten für den Winterdienst nur auf die beiden Parterre-Parteien umlegt. Denn diesen Winter soll sie wieder zur Kasse gebeten werden. Doch das sieht sie nicht ein: „Warum wird das Geld nicht auf alle umgelegt?“

Das gestaltet sich schwierig, denn es kommt darauf an, was im Mietvertrag steht: „Die Mieter sind vertraglich verpflichtet, die Gehwege zu räumen“, erklärt SWB-Sprecherin Christina Holz. Die Kosten eines externen Winterdienstes auf alle Parteien umzulegen, sei den anderen Mietern gegenüber nicht fair. Schließlich sind diese nicht verpflichtet, Kosten dafür zu übernehmen. „Ich kann niemanden zwingen, etwas zu zahlen, wofür er vorher nicht zahlen musste“, erklärt Holz. Eine Mietminderung gebe es für die räumenden Parterre-Parteien allerdings auch nicht. Schließlich genießen Erdgeschoss-Mieter dafür andere Vorteile. Aber: „Wenn sich die Parteien im Haus untereinander einigen, die Kosten umzulegen, ist das kein Problem“, so Holz. „Doch wir können keinen Mieter zu einer solchen Entscheidung drängen.“

Bei der MWB (Mülheimer Wohnungsbau) setzt man in den meisten Häusern auf Schneekarten: „Mit dieser wechseln sich Mieter beim Räumen ab“, erklärt Vorstand Jürgen Steinmetz. Dass die Bewohner im Erdgeschoss automatisch zuständig sind, sei meist in sogenannten „Altverträgen" die Regel. Ziehe ein neuer Mieter ein, bekomme er einen neuen Vertrag, in dem die Schneefegepflicht auf alle Nachbarn verteilt sei. „Probleme gibt es nur, wenn manche nicht dazu bereit sind.“ Dann werde verhandelt.

Clarissa Hannemann hat einen solchen „Altvertrag“. Die 88-Jährige ist zusammen mit ihrer 78-Jährigen Nachbarin im Erdgeschoss für das Schneeschippen vorm Haus an der Mühlenstraße zuständig. Doch gesundheitlich ist das für die älteren Damen kaum zu leisten. „Der Vermieter beharrt aber auf unsere Räumpflicht. Wenn wir das nicht mehr können, sollen wir einen Dienst engagieren.“ Dafür habe sie bei ihrer kleinen Rente aber kein Geld. Vom Vermieter käme kein Einlenken, keine Vermittlung zwischen den sechs Parteien des Hauses. Wie es in den nächsten kalten Wochen und Monaten weitergehen soll, weiß die Seniorin nicht. „Solange ich es noch schaffe, räume ich weiterhin selbst – mit 88 Jahren.“