Lehrer werden gesucht: Das hört man häufig in letzter Zeit, auch aus den Waldorfschulen. An der in Mülheim arbeitet Jochen Jahn (52) und nennt sie „Insel der Glückseligen“ – mit Einschränkungen, versteht sich.
Die Waldorfschulen werben um Lehrer: Leiden sie jetzt schon unter dem Mangel?
Jochen Jahn: Hier in Mülheim sind wir momentan mit 45 Menschen ausreichend besetzt. Aber grundsätzlich gilt: Wir brauchen Leute. Der Gründungsboom war ja in den 70er, 80er Jahren, und damals fingen auch viele Lehrer an. In zehn Jahren geht eine ganze Generation in Rente.
Warum sind Sie Waldorflehrer geworden?
Ich habe um 1980 herum in Frankfurt studiert, Chemie und Sozialkunde für Sekundarstufe II. Pädagogik kam da nur ganz am Rande vor, das fand ich völlig unbefriedigend.
Und dann?
Habe ich einige Wochen am Institut für Waldorf-Pädagogik in Witten hospitiert. Dort hatten wir viele künstlerische Fächer, Malen, Plastizieren... Ich bin aufgegangen wie eine Blüte in der Sonne und habe dann die vierjährige Klassenlehrer-Ausbildung gemacht.
Gesucht sind aber durchaus auch Quereinsteiger, oder?
Ja. Die Waldorfausbildung kann auch berufsbegleitend laufen. Wir haben jetzt mehrere Eltern, die das machen.
Wie viele Schüler(innen) haben sie im Augenblick?
Rund 480. Vom ersten bis zum 13. Jahrgang.
Bekommen alle, die sich an der Waldorfschule anmelden möchten, einen Platz?
Früher mussten die Kinder mit der Geburt angemeldet werden, so lang waren die Wartelisten. Heute ist es so: Wir bekommen die Klassen voll, ohne dass wir nach außen Werbung machen müssen. Vor allem bei den Quereinsteigern, die in Klasse drei, vier oder fünf wechseln möchten, gibt es aber immer noch Staus.
Wonach wählen Sie aus?
Nicht nur nach dem Anmeldedatum, sondern das Kind muss in die Klasse passen. Zum einen äußerlich: Wir achten sehr auf einen ausgewogenen Schlüssel von Jungen und Mädchen. Zum anderen von der Persönlichkeit her: Wenn die Klasse ganz harmonisch ist, dann kann sie auch jemanden vertragen, der Probleme mitbringt.
Manche sagen, die Waldorfpädagogik sei stehen geblieben, nicht mehr zeitgemäß...
... versteinert ...
Sie kennen die Kritik. Ist etwas Wahres dran?
Nein, vieles hat sich geändert, denn die Kinder haben sich geändert. Man kann heute nicht mehr so unterrichten wie vor 20 Jahren. Bewegung ist wichtiger geworden, auch fürs Lernen. Wir haben ein Projekt, das heißt „Bewegtes Klassenzimmer“. Dazu gehört: In den ersten beiden Jahrgängen sitzen die Kinder nur noch auf Kissen, meist im Kreis, und benutzen bei Bedarf Bänke als Tische. Die Kinder sind auch viel individueller geworden und wollen individueller angesprochen werden. Leider ist bei einigen der Respekt vor Erwachsenen völlig verloren gegangen.
Unterhalten Sie sich manchmal mit Pädagogen, die an Regelschulen arbeiten?
Bei mir im Tennisclub spielen einige Lehrer, da redet man gelegentlich. Und dann denke ich: Was die Schüler angeht, sind wir schon eine Insel der Glückseligen.