Miskin Kolani ist angekommen. Angekommen in Mülheim, seiner neuen Heimat. Vor knapp drei Jahren kam der 40-jährige Iraker nach Deutschland, musste aus seinem Geburtsland fliehen, in dem Krieg, Verfolgung und Unterdrückung den Alltag bestimmten.

Wirklich in Mülheim zuhause ist Miskin Kolani aber erst, seit er seine Familie wieder bei sich hat.

Erst mal die Schuhe aus. Und schon prasselt ein Schwall von herzlicher Begrüßung über jeden Besucher der großen Wohnung der Kolanis in Styrum – bunt gemischt aus deutschen und arabischen Worten. Dann dauert es eine Weile, bis alle acht Familienmitglieder ihren Platz um den großen Wohnzimmertisch gefunden haben. Fakisa (5), Kerei (12), Rana (14), Hilan (15), Kilistan (18) und Pakstan (20) erzählen von ihrem Tag – von Schule und Integrationskurs. Mutter Ato Schmo Jalo (37) wippt lächelnd ihre Jüngste auf den Knien.

Vater Miskin kann von allen schon am meisten Deutsch. Er begann mit dem Alphabetisierungs- und Integrationskurs bereits in Troisdorf bei Bonn. Dorthin kam er vor drei Jahren, als er den Irak endlich verlassen konnte, als erstes. Nachdem er drei Monate lang die ersten deutschen Buchstaben und Worte gelernt hatte, wiesen ihm die Behörden ­Mülheim als neue Heimatstadt zu.

„Ich habe mich gefreut“, sagt der Iraker heute und bekommt bei der Formulierung seiner Sätze noch viel Hilfe von Siham Ainalo. Sie arbeitet bei der Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) und leitet unter anderem die Alphabetisierungskurse von Miskin Kolanis Kindern. „Trotzdem musste ich erst noch ein Jahr auf die Anerkennung des Asylantrags warten.“

Doch war dieses Warten noch angenehm im Vergleich zu der ständig quälenden Ungewissheit: „Wie geht es meiner Familie? Wann kann sie endlich nachkommen?“ In den ersten zwei Jahren in Deutschland habe er kaum geschlafen, erzählt der Familienvater. „Allein leben war schlimm.“

Vor knapp einem Jahr war es endlich soweit. Die Familie traf sich am Frankfurter Flughafen wieder. „Das war unglaublich“, sagt Miskin Kolani. „Wie ein Traum.“ Sofort brachte er seine Frau und seine sechs Kinder nach Mülheim. Anfangs waren die Lebensbedingungen hart. Zu acht lebten die Iraker auf 40 Quadratmetern. Doch schließlich bekamen die Kolanis ihre große Wohnung in einem Altbau in Styrum. Der Vater setzt seit Januar dieses Jahres seinen Integrationskurs fort, die beiden ältesten Töchter Kilistan und Pakstan bekamen Plätze für Kurse bei der Diakonie. Die noch schulpflichtigen Kinder gehen auf die Hauptschule Bruchstraße, Fakisa besucht den Kindergarten. Mutter Ato Schmo Jalo spricht als Einzige noch kein Deutsch. Eine Lungenentzündung fesselte sie lange ans Bett – nun will sie so bald wie möglich anfangen.

Siham Ainalo leitet in sechs Stunden pro Woche den Alphabetisierungskurs der jungen Einwanderer an der Hauptschule Bruchstraße. Dazu kommen zehn Stunden Deutschunterricht und nach und nach immer mehr Anteile am Unterricht der anderen Schüler. Über 50 Schüler kamen laut Martina Kleinewegen, Leiterin der RAA Mülheim, 2009 nach Mülheim.

„Deutsch ist schwer“, meldet sich erstmals Pakstan vorsichtig zu Wort – wie ihr Vater immer halb in der Muttersprache und halb in der immer noch neuen. „Aber es geht schon besser und Freunde haben wir hier auch schon gefunden.“ Martina Kleinewegen ist begeistert. Und fragt gleich nach, ob die jungen Iraker einen Berufswunsch haben. „Ja“, sagt Pakstan. „Ich möchte gern Friseurin werden.“ – „Und ich Verkäuferin“, sagt Schwester Kilistan. Langsam trauen sich auch Rana, Hilan und Kerei, etwas zu sagen. Krankenschwester, Sekretärin und Polizist – das könnten sie sich gut vorstellen. Wissen aber, dass sie dafür viel lernen müssen – die Integrationskurse dauern noch über ein Jahr, ihr Deutsch ist immer noch bruchstückhaft.

Alle in der Familie ­wissen, wofür sie arbeiten. „Wir wollen nie wieder in den Irak zurück“, sagt Vater Miskin. Als Jesiden, als Form des Urchristentums eine religiöse Minderheit im Irak, war die Familie häufig religiösem Druck ausgesetzt. „Deutschland ist ein gutes Land für die Menschen. Man kann frei entscheiden, keiner fragt ständig, wohin man geht. Im Irak gibt es keine Freiheit.“ Auch der Vater will, sobald sein Integrationskurs abgeschlossen ist, wieder arbeiten. Im Irak war er lange beim Militär und dann wohlhabender Landwirt. Was er in Deutschland machen will? „Egal. Hauptsache arbeiten.“ Noch wichtiger ist ihm, dass sein 18-jähriger Sohn, der heute noch in Syrien lebt, so bald wie möglich nach Deutschland nachkommen kann.

Der Ehrgeiz der Eltern färbt ab. Als Kerei neulich drei Tage lang krank war, gab er nicht eher Ruhe, bis er wieder in die Schule durfte. In Mülheim hat die Familie mittlerweile ihren Platz gefunden. „Ich liebe ­Mülheim“, sagt Kilistan mit einem breiten Grinsen. Und in diesem Moment hört man ihren Akzent nur noch ganz leicht.