Wortfindungsschwierigkeiten, situative Orientierungslosigkeit, Persönlichkeitsveränderung – wenn Fachleute dementiell verändertes Verhalten beschreiben, bleibt es abstrakt.

Wenn die Mitarbeitenden des Edeka-Markts an der Kleiststraße aber berichten, wie ihnen Demenz im Berufsalltag begegnet, wird es konkret. Von der Seniorin, die an der Käsetheke immer vier Scheiben Brechbohnen bestellt, aber Gouda meint, erzählen sie. Von einem Herrn, der an der Kasse seinen Schlüssel statt Geld abgibt und von dem Kunden, der an der Fischtheke einen Aufstand macht, weil er nicht richtig begrüßt wurde, während seine Frau peinlich berührt daneben steht.

Regelmäßig, fast täglich, passiert so etwas. Wie sie mit solchen Situationen umgehen und was Demenz bedeutet, lernten rund 30 Mitarbeitende des Markts nun bei einer Schulung, die die Mülheimer Alzheimer Gesellschaft gemeinsam mit dem Demenz-Servicezentrum Westliches Ruhrgebiet anbot.

„Demenz ist ein Problem, das medizinisch nicht gelöst werden kann, sondern das gesellschaftlich aufgefangen werden muss“, sagt Peter Behmenburg von der Alzheimer Gesellschaft – und fasst damit die Grundidee der Schulung zusammen. Man will aufklären, sensibilisieren, beim Umgang unterstützen.

Deshalb beginnt der Schulungsabend „Demenz im Einzelhandel“ mit vereinfachter Medizin-Theorie. „Sie müssen sich das Gehirn als einen Aktenschrank vorstellen“, erklärt Inge Klein vom Demenz-Servicezentrum Westliches Ruhrgebiet. Ein gesundes Gehirn lege Informationen ordentlich ab und könne jederzeit auf sie zugreifen. Ist man aber an Demenz erkrankt, sterben Nervenzellen ab und damit gerät der Aktenschrank in Unordnung. Einiges gerät in die falsche Ablage, kann aber wiedergefunden werden, anderes geht ganz verloren. Und: „Akten, die einmal weg sind, kommen nie wieder“, sagt Inge Klein und erzählt von einer gebürtigen Italienerin, die sich an kein deutsches Wort erinnert. Hat man Demenz, sagt Peter Behmenburg, „ist man wie in seinem eigenen Film“.

Deshalb kommen Kunden im Hochsommer mit Winterjacke in den Edeka-Markt. Deshalb kauft eine Seniorin jeden Tag Unmengen Brot. Deshalb motzt der Herr, wenn er an der Wursttheke warten muss. „Und“, fragt Behmenburg in die Mitarbeiter-Runde, „was machen Sie dann?“ – „Ich biete ihm eine Scheibe Wurst an“, antwortet eine Verkäuferin und handelt damit instinktiv richtig. „Ablenken ist immer gut“, lobt der Fachmann. Ruhig und respektvoll zu bleiben, rät er zudem, in kurzen, klaren Sätzen zu sprechen und am besten: „Machen lassen.“ Wenn ein Kunde erst den Einkaufswagen voll macht und dann die Artikel wieder wahllos in Regalen verteilt, „lassen Sie ihn. Wenn er weg ist, drehen Sie eine Runde und sortieren kurz wieder zurück. Damit sparen Sie sich Nerven.“ Ihn auf sein Verhalten hinzuweisen oder gar zurechtzuweisen, bringe nichts. Denn auch wenn alles verschwindet, die emotionale Kompetenz bleibt: „Über die Gefühle finden Sie immer Zugang.“

Wichtig ist den Fachleuten, dass die Mitarbeiter die Augen offen halten, Auffälliges an sie weitergeben, damit die Fachleuchte sich kümmern können. Im Markt an der Kleist­straße hat man sich auf die Situation eingestellt. Einige Kunden werden am Eingang in Empfang genommen und beim Gang durch den Supermarkt begleitet. Noch ist das in Mülheim die Ausnahme. Und für die Mitarbeiter, die als Einkaufshelfer aktiv sind, hat Behmenburg einen weiteren Tipp parat: „Entscheidungen überfordern. Fragen Sie nicht, welche Milch es sein soll; packen Sie einfach welche ein.“ So machten die Mitarbeitern nicht nur den Senioren das Leben leichter, sondern auch sich selbst – und dann ist das Ziel des Abends erreicht.