Mülheim. .

Ein Novum in der Theaterlandschaft: Seit fast 30 Jahren leitet Roberto Ciulli das Theater an der Ruhr. Jetzt bietet er Rundgänge an. Margitta Ulbricht sprach mit dem Intendanten – natürlich beim Flanieren durch das Haus.

In 2011 wird das Theater an der Ruhr 30 Jahre alt. Ein Unikat made in Mülheim. Denn es ist einmalig in der gesamten deutschen Theaterlandschaft, dass ein Intendant über so lange Zeit die Regie über ein Haus hat. Zeit für Theatergeschichte(n). Die erzählt Roberto Ciulli Besuchern bei einem Rundgang durchs Theater.

Mir fällt spontan kein anderer Intendant ein, der Hausführungen macht.

Ciulli (lacht): Ich bin auch manchmal der Pförtner, der morgens die Tür aufmacht, weil ich sehr früh da bin.

Wie kam es zur Idee der Hausführungen?

Dieses Theater hat im Unterschied zu anderen Häusern eine lange Geschichte. Normalerweise schreibt jeder Intendant, der kommt, eine neue Geschichte.

Das ist hier anders.

Es gibt eine ganze Reihe von Erinnerungen, denn man hat ja in all’ der Zeit an so vielen verschiedenen Orten sehr viel erlebt. Dann gibt es den Ort Raffelberg, der wiederum seine eigene Geschichte hat. Wir sind diejenigen, die diese Geschichte um den Kurort, der bedeutungsvoll für die Stadt war, weitertragen.

Mussten Sie dafür tief in die Historie eintauchen?

Ja. Aber ich erzähle dabei auch mehr oder weniger lustige Anekdoten. Eine davon ist das Gastspiel in einer Stadt in der Region, wo der Verantwortliche für die Kultur gezögert hat, „uns zu kaufen“. Weil er meinte, dass unsere Aufführung zu provokant für das Publikum seiner Stadt ist. Das war „Der neue Prozess“ (ein Stück über den wilden Kapitalismus) von Peter Weiss Mitte der 1980er Jahre. Drei Jahre hat die Prozedur gedauert, bis sich die Stadt dann doch dafür entschieden hat. Eine Stunde vor der Aufführung kommt der Verantwortliche zu mir und sagt: „Herr Ciulli es ist zwar ausverkauft, aber es tut mir leid, ich habe Angst, weil ich glaube, dass die Vorstellung viel zu schwierig ist. Es geht nicht.“ Ich fragte irritiert, „wie, das geht nicht“. Daraufhin schlug er vor: „Wir machen das so: Sie sagen, dass jemand vom Ensemble krank ist, sie kriegen das Geld, aber spielen nicht.“ Das habe ich abgelehnt und wir haben gespielt. Er hat mir vertraut und es wurde ein großer Publikumserfolg. Diese Stadt ist eine von vielen in NRW, in denen wir kontinuierlich spielen – seit 1984 jedes Jahr.

Was sehen die Besucher beim Rundgang?

Ich zeige alle Räume und erzähle Geschichten, die mir spontan einfallen.

Sie zeigen den Gästen auch Ihr Büro?

Selbstverständlich. Es gibt kein Theater, in dem sich der künstlerische Direktor ein Büro mit drei Mitarbeitern teilt. Das hat natürlich einen Sinn – den Sinn der Kommunikation. Ich meine, dass Information in einem Theater auf allen Ebenen immer offen und transparent sein muss, sonst entstehen Hierarchien und Machtkämpfe. Hier ist alles offen, auch meine Telefonate kann jeder mithören.

Wollen Sie mit den Hausführungen auch neues Theaterpublikum ansprechen?

Mir geht es geht es vorrangig darum, die Besonderheit hervorzuheben. Ich mache das, weil ich glaube, dass der Raffelberg ein Ort des Gedächtnisses ist. Wo man am Theater erklären kann, wie ein Modell einer kulturellen Struktur mit weitestgehend demokratischen Entscheidungen funktioniert. Ich glaube, dass unser Haus noch immer ein Modell innerhalb der Theaterlandschaft ist.

Eben dadurch, dass wir diese besondere Geschichte haben – und das gibt’s nicht noch einmal in NRW, nicht in Deutschland und nicht in Europa, dass eine künstlerische Leitung so lange zusammenhält. Das steht natürlich auch im Zusammenhang mit dem Repertoire. Es gibt kein Theater, wo man Aufführungen erleben kann, die 30 Jahre alt sind wie Kaspar, wie die Dreigroschenoper oder der Kleine Prinz, der 15 Jahre ist. Das Haus an diesem Ort ist ein Spezifikum in der ganzen Theaterlandschaft.