Stand an der Mühlenstraße einst eine Mühle? Heißt Mülheim Mülheim, weil hier das Heim der Mühlen war? Wohnt Dagmar Mühlenfeld im Mühlenfeld?
Fragen über Fragen. Die ersten beiden beantwortet Heinz Auberg vom Geschichtsverein: „Die Mühlenstraße hat vermutlich ihren Namen von einer Wassermühle an den Sellerbecker Höfen zwischen der Boverstraße und der unteren Mühlenstraße. Es gab tatsächlich viele Mühlen in unserer Gegend. Das starke Gefälle der Ruhr und die vielen ihr zufließenden Bäche wie Horbach, Bruchbach, Rumbach, Forstbach, Rossenbach, Bühlsbach, Halbach und andere waren ideal, um die Wasserkraft mit Hilfe von Mühlen auszunutzen.“
Fast über ihre gesamte Länge wird die Mühlenstraße von einem überraschend großen Park flankiert, darin zwei idyllische Teiche und ein Bächlein, das dem versteckten Tal seinen Namen gab – und manchem Mülheimer gar unbekannt ist.
„Das Horbachtal ist das Beste an der Mühlenstraße“, meint auch Anwohnerin Angelika Kucharczyk. „Wenn ich aus dem Fenster schaue, freue ich mich immer über dieses kleine Paradies hinter der Haustür.“ Nach hinten raus haben viele Anwohner ein Törchen zum Tal.
Eben noch im Stau auf der Mellinghofer gestanden, kann man eine Minute später den Pferden beim Grasen zusehen. Mitten in der Stadt gibt’s hier einen Bauernhof mit Hofladen. Ab und zu tuckert ein Trecker zum Feld. Im Tal wartet der klare Horbach auf Kinder, die Staudämme bauen und Schiffchen schwimmen lassen. Im Winter wird hier gerodelt, weil es so schön bergig ist – und natürlich endet die „Todesbahn“ genau im Horbach.
Die Mühlenstraße macht sich. Fassaden wurden neu gestrichen, Bäume sind herangewachsen, bedecken barmherzig einiges Grau. Das lange verwaiste Tankstellengrundstück ist verschwunden, rote Einfamilienhäuser sind gerade fertig. Die alte Kneipe Reck, aus dem Dornröschenschlaf erweckt, erstrahlt in neuem Glanz. Statt Bier im Glas gibt es nun Wasser im Napf, aus der Wirtschaft wurde eine Tierheilpraxis. Im Tal sammeln sich allmorgendlich die vierbeinigen Kunden zum geselligen Gassigehen.
Seit 23 Jahren betreibt Gisela Abendroth ihr Schreibwarengeschäft. Eigentlich im Rentenalter, hofft sie doch, dass es noch lange weitergeht, denn sie liebt den Kundenkontakt. „Die Konkurrenz ist groß“, sagt die Inhaberin und meint die Geschäfte, wo man Schulhefte im Zehnerpack kauft. Zwei Schulen gibt es in der Nähe, wie gut. „Ist doch schön, wenn Kinder kurz vor Schulbeginn noch schnell bei mir Patronen oder ein Geodreieck kaufen können. Oder wenn die Mütter mich fragen, was ein rautiertes Heft ist.“
„Es gab in den 1950er/60er Jahren mindestens fünfzehn Geschäfte auf der Mühlenstraße“, erinnert sich Renate Riemer, „Ureinwohnerin“ seit 1948. Das waren schöne Zeiten, alle wichtigen Läden in Laufdistanz. Namen, die keiner mehr nennt. Doch, einmal noch: „Es gab viele Lebensmittelläden, das waren Thölke, Krebber, später Fahrentholz; Görlach, später Edeka, das ist jetzt die Trinkhalle. Der Fischladen Winschermann war eine Garage. Das Milchgeschäft Höffken wurde ein Komaladen, später Tapeten Meissler, Bäckerei Broichhausen. Unsere Metzger waren Korthe, Schäferdieck und Weise, da ist jetzt der Italiener. Tapeten Heckmann, jetzt Nähstube Pietschmann; Textil- und Kurzwaren Scherer, Henkel, Mendel. Die Friseure hießen Diekhöhner, Grothe, jetzt Limp. Die Heißmangel Godo, ein Getränkeladen. Drei Wirtschaften gab’s, Renner, dann Reck; sich gegenüber lagen der Mühlenkrug und die „Post“. Schreibwaren Dümptermann und Abendroth. Gärtnerei Lohschelder, die hat gerade zugemacht.“
Und dann erzählt Renate Riemer Geschichten. Von der Wurstbrühe, die man in der Nachkriegszeit beim Metzger holen konnte, für ein bisschen Geschmack an der Suppe, von Fräulein Henkel, die man nicht Frau Henkel nennen durfte, vom Milchmann mit dem „Tempo Dreirad“…
Dönekes, die aufgeschrieben werden wollen. Vielleicht, eines Tages, sagt Renate Riemer.
Bergschäden
Im Jahr 2005 wurden die Anwohner der Mühlenstraße in Angst und Schrecken versetzt. Durch den oberflächennahen Kohlenabbau in früheren Jahrhunderten waren hier Hohlräume entstanden, die bisher nicht verfüllt waren und jetzt zu bedrohlichen Bergschäden geführt hatten.
Über ein Jahr war die Mühlenstraße gesperrt. Mehrere Millionen Euro mussten vom Land aufgewandt werden, um mit viel Zement die Hohlräume zu verfüllen und die Oberfläche zu sichern. Eine schlimme Zeit für die betroffenen Hausbesitzer und Mieter.
Auf dem namenlosen Dreiecksplatz Ecke Nordstraße wurde vor kurzem ein Basaltstein mit Bronzetafel aufgestellt. Schräg gegenüber stand bis vor dem ersten Weltkrieg die Zeche Sellerbeck, eines der ältesten Bergwerke der Region.
Bronzetafel enthüllt
Zur Enthüllung kamen einige wenige Bergleute im „Bergkittel“ und sangen mit dem Heißener Männerchor das Steigerlied. „Mehr sind wir nicht mehr“, sagt Heinz Auberg etwas wehmütig.
Als Bergingenieur und Vorsitzender des Arbeitskreises Mülheim im Förderverein Bergbauhistorischer Stätten erinnerte er bei der Feier auf der Wiese an die Anfänge des Mülheimer Bergbaus im 16. Jahrhundert und an das Ende im Jahr 1966.
Neben dem Stein steht noch ein stummer Zeuge aus dieser Zeit, ein Förderwagen. Auf der neuen Bank hat man beides im Blick und kann lesen, wenn man denn Sütterlin-Schrift noch lesen kann: „Zur Erinnerung an den Dümptener Bergbau.“ Glück auf, Mühlenstraße!