Als Jörg Schmitz diese kleine, braune Box auf einem Mülheimer Trödel kaufte, hätte er nicht erwartet, dass er darin ein ganzes Leben findet.

Zwei Euro hatte das Kistchen gekostet, gefüllt war es mit gut 100 Foto-Negativen einer Familie aus den Zwanziger oder Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der Museumspädagoge Schmitz ließ den Großteil von ihnen entwickeln – und machte so die Gesichter der unbekannten Familie wieder sichtbar. Diese Bilder sind nun vom 17. Oktober bis 23. Dezember in der Wechselausstellung „Fotos ohne Namen“ in der Camera Obscura zu sehen.

„Wir haben weder Namen, Jahreszahlen oder Orte, die mit den Aufnahmen in Verbindung stehen“, erklärt Tobias Kaufhold, Leiter des Museums Camera Obscura. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen Charaktere der Goldenen Zwanziger: Zwei Damen sitzen in Korbstühlen und naschen Kekse, Mädchen hocken beim Kartenspiel am Tisch, eine feine Gesellschaft grinst hinter einem schwarzen Klavier in die Kamera. Dahinter pompöse Kronleuchter, schwerer Stuck an der Decke, ein älteres Ehepaar, das wohl Vater und Mutter sein muss.

„Wir gehen davon aus, dass die Bilder von einem professionellen Fotografen gemacht wurden“, so Kaufhold, den die Bilder zu der Ausstellung inspiriert haben. Im unteren Teil des Museums hängen die vergrößerten Kopien an den Wänden. Es sind gut erhaltene Fotos, die Motive zum Schmunzeln und zum Staunen. So schaut das Familienoberhaupt - wohl auf seiner Geburtstagsfeier - mit aufgerissenen Augen in die Kamera, während um ihn herum versammelt seine Gäste und die Familie in Eintracht lächeln. Im Vordergrund liegen die Geschenke: Blumentöpfe, Schal, Käseglocke, elektrischer Föhn. „An solchen Details lässt sich Sozialgeschichte erforschen“, meint Museumspädagoge Jörg Schmitz. Immerhin sieht man auf den Fotos vor allem Innenansichten: Die Familie gemeinsam am Tisch, die vermeintlichen Schwestern beim Spaßmachen auf der Couch oder beim Lesen im Salon. In diesem ist ein Heizkörper zu sehen – so lassen sich Zeit und sozialer Stand einordnen. „Man erkennt, wie die Menschen damals gelebt haben.“ So werden die Aufnahmen zu echten Suchbildern, auf denen es immer wieder neue Details zu entdecken gibt.

Auf einem Bild erkennt der Betrachter die Familie im Auto an einer Tankstelle. „Vielleicht handelt es sich um einen Opel P4“, vermutet Kaufhold. „Sehr ungewöhnlich, dass Leute in dieser Zeit überhaupt ein Auto besaßen.“ Klar ist also: „Es handelt sich um eine wohlhabende Familie.“ Kaufhold vermutet: „Vielleicht Fabrikanten aus dem Rheinland.“

Nun hoffen die Finder, dass sich durch die Ausstellung Leute erinnern: Vielleicht an die Großtante, den Uropa oder die verstorbene Urgroßoma. „Vielleicht können wir so die Geschichte, die sich hinter den Fotos verbirgt, entdecken.“