Mülheim. .
Die Mülheimer versuchen seit über einem Jahr mit unterschiedlichen Aktionen, den verwahrlosten Eichbaum für sich zurückzugewinnen. Hunderte Besucher kamen zum Spektakel aus Boxkämpfen von Sportlern und Wort-Gefechten von Rappern.
Es sieht nicht gut aus für Fabian – „Deckung oben“, brüllt es von der Seite. Doch diesmal dient der junge Mann in blauem Sportdress wohl eher als Boxbirne für den Widersacher in Rot. Der treibt ihn von links nach rechts in die Seile. Der Gong rettet den Kampf. Etwas Wasser, einmal mit dem Handtuch fächeln. Der Sieg ist dennoch dahin – der Schiedsrichter hebt den Arm des roten Boxers, das Publikum jubelt, eine U-Bahn fährt vorbei. Dann ist es Zeit für die Cheerleader der Assindia Cardinellas.
U-Bahn?! Die Idee, ausgerechnet hier einen echten Boxring aufzustellen, ist schräg. Und dennoch passte es am Wochenende wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: Der rohe Graffiti-trifft-Waschbeton-Charme der Haltestelle Eichbaum versprühte genau die Hinterhofatmosphäre, die Boxfans und Boxer lieben. Am Ende des Bahnsteigs, unterhalb der Rolltreppe, wo sich sonst kaum jemand aufhält, stiegen am Samstag und Sonntag mal Boxer und mal Rapper in die quadratische Arena. Von der Plattform darüber konnte man auf diese Bühne schauen. Und mit der U18 fuhr man nur etwa drei Meter am Geschehen vorbei – ungläubige Blicke an Fensterscheiben. „Eine geile, verrückte Sache“, entfährt es Frank Nierhaus, Trainer beim Box Club Mülheim-Dümpten. Sein Club hatte gemeinsam mit dem Eichbaum-Team diese zweitägige Show aus Box-Kampf und Wort-Gefecht organisiert.
„Ein tolles Gefühl“
„Wenn der Schiedsrichter deine Hand nach oben hält, das ist ein tolles Gefühl“, beschreibt Nierhaus die Motivation der Kämpfer. Die Fights sind aber nicht nur zum Spaß, es finden zwölf Wertungskämpfe statt, die als Sieg oder Niederlage in die Boxerbiografien eingehen. Clubs von Aachen bis Wesel sind dabei, „Sportler, die noch nicht gegeneinander angetreten sind“, so der Trainer. Box-Promis kann der junge Mülheimer Verein übrigens schon vorzeigen: Achim Möllenbeck (21) etwa ist im letzten Jahr NRW-Meister geworden und als Dritter knapp am Deutschen Meister vorbeigeschrappt.
Und so liegt am Eichbaum der Sound von Pulp Fiction in der Luft, an der Bauhütte – seit der Oper im letzten Jahr eine ständige Einrichtung an der Haltestelle – schenkt man Getränke und die „Rapper-Platte“ aus, ein bunter Fingerfood-Teller. Ein paar hundert Leute sind hier, die sich diesen Rummelplatz aus Faust- und Wort-Kampf anschauen. Die meisten sind junge Menschen. Es wird geflirtet und nach Autogrammen gejagt: Wer ist das schwarze Muskelpaket, um das sich einige Jungs drängen? „Manuellsen“, zuckt ein Junge mit den Schultern, als hätte man ihn um seinen Mofa-Schlüssel gebeten.
Der Styrumer Rapper aus Ghana ist nicht der einzige, der sich zum Rap-Battle in den Ring begibt: Am Samstagabend lieferten schon die Hip-Hopper Creutzfeld & Jacob ihre Show ab; „vor 250 Jugendlichen und Fans“, erzählt Matthias Rick von der Architektengruppe Raumlabor. Bis 22 Uhr ging das Konzert, aber das Publikum sei noch bis 2 Uhr geblieben.
Den Eichbaum zurückgewinnen
Raumlaboranten und Anwohner versuchen seit über einem Jahr mit unterschiedlichen Aktionen, den verwahrlosten Eichbaum für sich zurückzugewinnen. Eine Oper machte den Auftakt, dann wurde es stiller. In Workshops machten sich Jugendliche Gedanken über die Zukunft der Haltestelle, eine Vereinsgründung stand Anfang des Jahres im Raum. Dann gab es unverhofft noch einmal Geld vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, mit dem das Box-Ereignis bestritten wurde und ein weiteres Projekt mit Schülern des Gymnasiums Heißen.
Diese sammelten mit der Architektengruppe Urbikon Bilder und Geschichten von Eichbaum-Anwohnern. Aus Fotos entstanden Silhouetten dieser Menschen, die an verschiedenen Orten der Haltestelle angebracht sind sowie ein weiteres großes Silhouettenrelief aus Stahl-und MDF-Platten. „Es geht darum, dass sich die Leute mit dem Ort identifizieren“, sagt Rick. Dazu soll auch Graffiti-Kunst – eine Galerie mit Gesichtern und Motiven von Sprayern in Mülheim – beitragen. „Es gab unterschiedliche Reaktionen auf unsere Aktionen“, so der Raumlaborant, von „gut“ bis „bringt doch eh nichts“. Nun läuft das Projekt aus. Wie es weitergeht? Der Verein sei weiterhin in der Diskussion, sagt Rick, jetzt liege es in der Verantwortung der Anwohner, was hier geschieht.