Gleich zwei Jubiläen feierte das „Theater Mülheimer Spätlese“ mit der Premiere des neuen Stückes „Sprachlos“ am Mittwochabend: Es ist die 20. Produktion des Ensembles im 20. Jahr des Bestehens.
Mit „Sprachlos“ betreten die Darsteller Neuland. Erstmals gab es nur ein Handlungsraster, viel Improvisation war gefragt. Das Thema ist aktueller denn je: Wie bewältigt man – nicht nur, aber gerade als älterer Mitbürger – die geballte Informationsflut? Und was macht das Leben aus Menschen, wenn sie nur noch von elektronischen Medien abhängig sind?
Als Clowns gekleidete und geschminkte Figuren sitzen auf einzelnen Stühlen auf der Bühne. Jede hält den Teil einer Zeitung dicht vor ihr Gesicht und liest aufmerksam. Ein Lachen braust auf, es schwillt an zu einem wahren Anfall von Gelächter. Nur eine traurige Seele, noch dazu stottert sie permanent, kommt nicht mit und kann an dem Vergnügen der anderen nicht teilhaben. Sie ist sprachlos.
Die Problematik, der sich die Darsteller des „Theater Mülheimer Spätlese“ widmen, ist vielfältig: Ausgrenzung, Vereinsamung, Sucht, mediale Reizüberflutung oder die Unselbstständigkeit – ausgelöst durch das Verlassen auf elektronische Helfer. Jeder Clown hat sein Faible: Sei es der Fernseher, die Lautsprecherboxen, der Drucker, der Satelliten-Receiver, die Computer-Maus, das Laptop oder die Tastatur. Ohne diese „Spielzeuge“ wissen sie auf der Bühne nichts mit sich anzufangen.
„Erklär‘ mir die Welt!“, bittet die kleine Stottrerin. Eine Antwort erhält sie nicht, sie kann noch so sehr ihre Kompagnons der Clown-WG bitten. Diese widmen sich lieber dem Input, den Informationen, egal ob wichtig und unwichtig. Braucht man das Internet, um zu wissen, welchen Zug man nehmen muss? Eine Clownsdame will zur Eisrevue nach Frankfurt. Ihr Kamerad, flink mit der Tastatur, „googelt“ fleißig und sorgt nur dafür, dass sie einen Zug nach nirgendwo bekommt.
„Wissen ist Macht“, dieser allseits beschworene Satz taucht an dem Abend auch mehrfach auf. Während sich die Nichtwisser-Fraktion mit Musikinstrumenten verlustiert, werfen die Informationsjunkies ihnen Fragen an den Kopf – die sie natürlich nur mit ihren Hilfsmitteln beantworten können.
„Sprachlos“ setzt sich aus vielen solchen brachialen Szenen zusammen, die einem zum Lachen, aber auch zum Nachdenken bringen. Der rote Faden ist weniger in der Handlung zu suchen, sondern in der Steigerung und dem Facettenreichtum der angesprochenen Thematik.
Eines lassen die Schauspieler dabei nicht außer Acht: den Wiedererkennungswert ihrer alltagstauglichen Konflikte.
Zum Höhepunkt hin fällt der Strom aus. Ohne Energie für ihre „Spielzeuge“, werden auch die Clowns leblos, gar farblos. Man schweigt sich an auf der Bühne. Die Menschen sind zum Spielball ihrer eigenen Technik geworden. Dieses Bild verdeutlicht die letzte Szene: Die Stotterin legt eine Weltkugel auf einen Stuhl, während die Figuren nach und nach im Dunkeln der Bühne verschwinden.