Seit 46 Jahren ist Beate Gottwald Friseurin und „schon immer“ von Büchern fasziniert. In ihrem Salon verbindet sie nun Hobby und Beruf, den Impuls hierzu gaben Teilnehmer von „2-3 Straßen“.

Man muss wissen: Beate Gottwald, die eigentlich aus Essen kommt, wohnt seit 15 Jahren im SWB-Hochhaus am Hans-Böckler-Platz. „Wegen der tollen Aussicht bin ich nach Mülheim gezogen“ – und gleich in den 19. Stock. „Das ist fantastisch. Ich liebe dieses Hochhaus, denn man hat die Möglichkeit, mit Leuten in Kontakt zu kommen.“ Wenn man möchte. So wie sie.

Dass mit dem Jahr 2010 neue Nachbarn einziehen würden, die Mitwirkenden an „2-3 Straßen“, hatte sich schnell verbreitet im Haus. Eines Tages, während der langen Aufzugfahrt zwischen Parterre und 19. Stock, sprach Beate Gottwald einen ihr unbekannten Herrn an: ob er auch zu den Teilnehmern gehöre? „Ja, sieht man mir das an?“ fragte Rudi Jörg-Fromm, der Mann aus der Schweiz, zurück. Inzwischen sind die beiden befreundet und die Friseurmeisterin („ich bin kunstinteressiert“) lernte bei hausinternen Vernissagen oder schlicht Kaffeerunden weitere „2-3 Straßen“-Leute kennen.

Inzwischen haben schon zwei von ihnen in ihrem Geschäft eigene Texte gelesen, am 29. September findet der dritte Literaturabend statt.

Überhaupt: Wer den Salon „Schillerlocke“ betritt, der allerdings jenseits der Stadtgrenze in Essen-Borbeck liegt, sollte etwas Lektüre dabei haben. Nicht, weil die 60-Jährige ihre Kunden außergewöhnlich lange warten ließe, sondern weil sie seit einigen Monaten einen „Bücher-Tausch“ betreibt. So steht es in geschwungener Schrift auf dem Schaufenster, wo man auch gleich eine Auswahl der gesammelten Werke besichtigen kann: Kinderbücher, Klassiker, auch Herz & Schmerz natürlich. „Ein Professor der Uni Duisburg-Essen hat mir gleich vier Kisten mit Literatur vorbeigebracht. Dürrenmatt, Sartre, Oscar Wilde, Tolstoj...“

Hier also kann man Ausgelesenes gegen Unbekanntes tauschen. Das funktioniere gut, sagt die Ladenbesitzerin.

Auch ein freies Theaterensemble hat bereits hier gastiert. Da war die Bühne gleich am Eingang, wo das Klavier steht, während das Publikum im hinteren Teil des Salons saß, auf Klappstühlen zwischen den Spiegeln und Haarwaschbecken. Der Eintritt war frei, nur ein Hut ging rum. Es kamen Zuschauer aus dem Freundes-, aber auch Kundenkreis. „Die Leute finden diese Location einfach gut.“

Werft eure alten Bücher nicht weg,! Das sagt Beate Gottwald gelegentlich auch Schulkindern, die auf dem Nachhauseweg an ihrem Geschäft vorbeikommen. „Manche antworten dann: ,Wir haben gar keine.’“ Ihr, die inzwischen selber Oma ist, kiegt es spürbar am Herzen, junge Leute fürs Lesen zu interessieren. Einen 30-qm-Raum im Keller renoviert sie gerade, gemeinsam mit ihren eigenen, erwachsenen Kindern und Freunden. „Das wird eine Kinder-Lesehöhle.“ Nach den Herbstferien soll es auch hier die erste Lesung geben: Beate Gottwald, die lange mit einem Afrikaner verheiratet war, hat einen kongolesischen Märchenerzähler eingeladen, denn sie im Mülheimer Ringlokschuppen kennenlernte.

Außerdem, und hier kommt wieder das Hochhaus ins Spiel, ist eine Veröffentlichung geplant, an der die Friseurmeisterin selber mitwirkte: Eine Teilnehmerin von „2-3 Straßen“ möchte ein Backbuch herausbringen, mit Rezepten der Nachbar(inne)n am Hans-Böckler-Platz. Auch da ist Beate Gottwald dabei. Am Jahresende werden die Mieter auf Zeit das Hochhaus wieder verlassen, vielleicht von wenigen Ausnahmen abgesehen. Beate Gottwald sagt schon jetzt: „Ich werde die Leute sehr vermissen. Denn nun gibt es im Haus viel mehr Kommunikation.“