Zwei junge Akademiker aus Heißen, ein Jung-Ingenieur und ein Chemiker, erleben den oft beklagten Fachkräftemangel ganz anders.
Wenn er die Nachrichten vom Ingenieurmangel und die Klagen über fehlende Naturwissenschaftler hört oder liest, kann er sich mittlerweile nur noch aufregen. Nicht nur ihm geht es so, sondern auch seinem jüngeren Bruder. Auch der schreibt seit Monaten Bewerbung um Bewerbung. Ergebnis: dicke Mappen voller Absagen. Zwei junge Männer aus Heißen, der eine 32 Jahre alt der andere 28, erleben das Thema Fachkräftemangel in Deutschland komplett anders. Und sie hegen den Verdacht: Die Wirtschaft schielt auf junge Leute aus dem Ausland, weil sie billiger sind.
Ihre Namen wollen sie nicht veröffentlicht sehen, aus Sorge, dass sie mit der Kritik vielleicht alle Chancen verspielen könnten. Wir nennen sie daher Peter (32) und Paul (28).
Sie leben in Mülheim, besuchen eine Realschule, machen eine Lehre, holen das Abitur nach und studieren, der eine Chemie, der andere Maschinenbau.
Zehn Semester hat Peter benötigt an der Uni Duisburg/Essen. Nach dem Diplom beginnt er sofort mit der Promotion in Technischer Chemie, Explosionsschutz ist sein Thema. Zwischen der Bundesanstalt für Materialforschung in Berlin und der physikalisch-technischen Bundesanstalt in Braunschweig pendelt er. Fast vier Jahre Berufserfahrung stehen am Ende der Doktorarbeit und ein summa cum laude.
Eine Tür hat ihm das höchste Lob bisher nicht geöffnet. Seit gut 15 Monaten, berichtet er, schreibe er Bewerbungen, quer durch die Republik. Auch die Schweiz und Österreich kämen in Frage. 100 Bewerbungen listet er auf, sechs Vorstellungsgespräche. „Von vielen Firmen habe ich keine Antwort bekommen, nicht einmal eine Eingangsbestätigung.“ Und wenn er nach Monaten mal nachgefragt habe, hieß es: Man habe sich für jemanden anderen entschieden.
Voran es liegt – er wisse es nicht. Er ist weder vorbestraft noch tritt er in ausgefransten Jeans vor die Personalchefs. Zum Teil würden die Anforderungen extrem hochgeschraubt: jung, promoviert, Berufserfahrung, immer wieder gute Sprachkenntnisse. „Ein Unternehmen verlangte die Beherrschung von fließend Englisch, Französisch und Spanisch, Kenntnisse in Russisch waren außerdem erwünscht.“ Und was die Gehaltswünsche angehe, stapele man als Anfänger ohnehin tief. „Ich hätte manche Arbeit auch für 2500 Euro brutto angenommen.“ Auch das führte nicht zum Arbeitsplatz. Und mit wachsender Enttäuschung habe er sich auch mal auf die Stelle eines chemisch-technischen Laboranten beworben. Überqualifiziert, aussortiert.
Die Hilfe von der Arbeitsagentur oder von Arbeitsvermittlern sei völlig enttäuschend, sagt der 32-Jährige. Drei Angebote in zwölf Monaten, wobei in einem Fall noch nicht einmal ein Chemiker gesucht wurde. Zu alten Ausbildern hat er den Kontakt aufgenommen, täglich durchsucht er sämtliche Arbeitsbörsen, schaut täglich auf die Seiten der Max-Planck-Institute, auf die der Fraunhofer Gesellschaft. Chancenlos in der Chemiebranche? Für den Heißener sieht es so aus.
Keinerlei Rückmeldung
Sein vier Jahre jüngerer Bruder erlebt das gleiche Dilemma als Maschinenbau-Ingenieur. Er hatte zunächst bei Siemens Industrie-Mechaniker gelernt und ging dann an die Bochumer Uni. Konstruktionstechnik ist sein Schwerpunkt. Als er studierte, habe er immer gehört, wie gefragt er eines Tages sein werde. Von wegen. Nach neun Monaten bringt er es auf 50 Bewerbungsschreiben. Ergebnis: nichts. Auch er beklagt, dass es von den Firmen keinerlei Rückmeldung gebe. So tappe man im Dunkeln, werde von Selbstzweifeln geplagt und staune über die zunehmenden Klagen der Wirtschaft über den Fachkräftemangel, über die Überlegungen, verstärkt Akademiker aus dem Ausland anzulocken, und sie wundern sich, dass das Land NRW in Mülheim für 170 Millionen Euro eine Hochschule baut, um den Ingenieurmangel zu beseitigen, wo sie eher den Überhang erfahren.
„Ich würde als Politiker den Unternehmen sagen: Bevor Sie über den Mangel klagen, schauen Sie sich auf dem heimischen Markt einmal um!“, sagt Peter. Von ehemaligen Kommilitonen hören beide ähnliche Schicksalsberichte. „Selbst wenn man nicht zu 100 Prozent mit seinem Profil auf eine Stelle passt, die Meisten sind sofort bereit, sich umgehend fortzubilden, sich in neue Aufgaben hineinzuarbeiten.“ Man müsse nur mal die Chance bekommen.