Auf der Kirmes ging es scheinbar früher richtig rund. Das lassen wenigstens die Erinnerungen von Iris Rollmann vermuten. „Mit klopfendem Herzen“, erzählt sie, seien Jungen und Mädchen früher in die Raupe gestiegen...
... um mit noch stärker klopfendem Herzen und zerzausten Haaren wieder auszusteigen. Auch Schausteller Richard Müller und Peter Buchholz betonen mit Blick auf das Fahrgeschäft: „Küssen ist da auf jeden Fall erlaubt.“ Wenn man denn die Lippen des anderen trifft. Denn die Fahrt mit der Raupenbahn, Baujahr 1926, ist holperig, aber historisch korrekt. Noch bis Sonntag ist eine Historische Kirmes auf dem Platz vor der Alten Dreherei aufgebaut.
Gelbe Glühbirnen statt blinkendem Buntlicht, die Schlager-Klänge und Rock’n’Roll-Klassiker der 50er Jahre statt der treibenden Bässe des neuen Jahrtausends, Schiebermützen und Hosenträger statt Jeans und Turnschuhen – die Zeit scheint stehengeblieben.
Und prompt ist Schluss mit Hektik; es geht gemütlich und gediegen zu. Die Älteren schwelgen in Erinnerungen an die eigenen ersten Kirmesgänge, während die Enkel auf „Max“ und „King“ Platz nehmen, den Karussellpferden, die wohl im Jahr 1885 gefertigt wurden. „Es ist nicht so bombastisch wie auf einer modernen Kirmes“, findet etwa Iris Rollmann – und meint das als Kompliment. Mit ihrem Mann und den drei Enkelsöhnen ist sie gekommen und fühlt sich an früher erinnert. „Ich habe meinen Enkeln schon davon erzählt.“ Julian und Jonathan allerdings haben nun genug von der Theorie, sie entern lieber das kleine Riesenrad. In den kleinen Gondeln nehmen sie Platz. Rot verziert sind diese, aber sonst eher beige. Das passt wohl zum Baujahr, 1902.
Das Erinnern ist das Ziel der Veranstalter. Die Zeiten, als in allen Stadtteilen von Saarn bis Heißen noch regelmäßig Karussells aufgebaut wurden, wollen Richard Müller und Peter Buchholz aufleben lassen. Sie beide sind Schausteller aus Leidenschaft und mit Familientradition. „Den Autoscooter habe ich bei einer Schaustellerfamilie gefunden und beim Sichten der Papiere gesehen, dass das der Autoscooter meiner Großeltern war“, berichtet der Essener Müller. Klar, dass er das Gerät, Baujahr 1950, haben musste.
Die Wagen sind zwar etwas neuer, Baujahr 1970, haben dafür aber allesamt einen bekannten Stern auf dem Kühlergrill. Gemeinsam mit dem Mülheimer Peter Buchholz hat Müller den Autoscooter restauriert. „Viele Stunden und Herzblut“, sagt Buchholz, haben sie da reingesteckt. Ohne Leidenschaft für die Sache ginge es nicht, findet Buchholz und lacht: „Dafür muss man bekloppt sein!“
Buchholz gehört die Raupenbahn. Baujahr 1926 ist sie und „stand seitdem nie still“. Damit sie sich weiter dreht, sind er und Müller Gründungsmitglieder der „Historischen Gesellschaft Deutscher Schausteller“. Die alten Fahrgeschäfte wollen sie erhalten, bauen sie deshalb wie früher ohne Kran in Handarbeit auf. Sie machen (Fahr-)Geschichte mit ihrer Familien-Geschichte den Menschen zugänglich und ihnen Freude. Und das, so Müller, „zu familienfreundlichen Preisen“. Damit es in der Raupe weiter rund geht.