Mülheim blüht etwas. Nicht in den Blumenkübeln an der Schloßstraße, auch nicht auf der heimischen Fensterbank: Am Auberg beginnt die Blütezeit der Wildorchideen. Eine Art ist hier heimisch: das Gefleckte Knabenkraut.
Dr. Peter Keil, Geschäftsführer der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet, schlägt sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Büsche des Naturschutzgebietes, um die seltenen Pflanzen zu inspizieren. Seine Gummistiefel schmatzen im Matsch, Amseln zwitschern, ein Kuckuck ruft – sonst ist alles still. Auf einmal weichen die Bäume einer großen Lichtung. Auf der anderen Seite hat gerade noch ein Reh am Waldsaum geäst, jetzt blickt es aufmerksam in Richtung der Eindringlinge, dann springt es davon. Eine ganze Wiese wiegt sich in der Sonne: Braunsegge, Flatterbinse und andere Gräser reichen dem Naturschützer bis zum Knie. Dazwischen kauern sich die Orchideen auf den nassen Boden.
Mit ihren grau-grün gefleckten Blättern fallen sie auf. „Das sieht gut aus dieses Jahr“, deutet Keil im Kreis. Allein auf ein paar Quadratmetern rund um seine Schuhe hat er fünf, sechs Exemplare ausgemacht. Zurzeit strecken sie ihre Blütenstengel noch wie Fühler in den Himmel; ihre wahre Pracht werden sie erst in den nächsten Wochen entfalten. 20 bis 30 Pflanzen zählt der Fachmann durchschnittlich jeden Frühling. Noch lange nicht alle Knabenkräuter strecken jedes Jahr Blätter und Blütenstengel über die Erde am Auberg. „Orchideen leben unterirdisch in Symbiose mit einem Bodenpilz“, erklärt der Geobotaniker. Er schätzt: „Es können bis zu 100 Exemplare auftauchen. Genau weiß das keiner.“
Außerhalb von Treibhäusern und Blumenläden wachsen die wilden Verwandten der Zuchtorchideen hauptsächlich in den Tropen; mit 20 000 Arten zählen Orchideen zu einer der größten Pflanzenfamilien weltweit. „In Europa kommen die meisten am Mittelmeer vor“, erzählt Keil. „Je weiter man nach Norden kommt, desto weniger gibt es.“ Die blühenden Schönheiten sind also schon eine kleine Rarität. Von den Nachbarstädten kann sich nur Essen ebenfalls mit Wildorchideen schmücken.
Auch wenn sie wild wachsen: Ganz von allein gedeihen die Blumen nicht. Einmal im Jahr wird die Wiese gemäht und die Mahd abtransportiert – natürlich erst, wenn „alle Blühpflanzen abgesamt haben“, wie Keil erklärt. „Eine Wiese bleibt hier in Mitteleuropa nur dann eine Wiese, wenn Sie sie auch bewirtschaften. Sonst wird hier alles zu Wald.“ Den aber verträgt das Gefleckte Knabenkraut gar nicht. Richtig und sichtbar wohl fühlt es sich nur auf nährstoffarmen Feuchtwiesen. Auch deshalb ist es so wichtig, dass Mensch und Tier im Naturschutzgebiet auf den Wegen bleiben: Die Hinterlassenschaften von Hunden sind ein ausgezeichneter Dünger, der sich nicht mit der Diät der Wildorchideen verträgt. Und dass Spaziergänger die seltenen Pflanzen nicht zertrampeln oder gar ausbuddeln dürfen, versteht sich wohl von selbst. Die Regeln im Naturschutzgebiet gelten, das betont auch Keil, „zum Schutz der Natur – nicht, um jemanden zu ärgern“.