Man traut seinen Ohren nicht – ist das Gesang, der sich in die U-Bahnhalle „Stadtmitte“ verirrt hat? Und der sich mit jedem Schritt, den der Chor der musischen Werkstätten die Treppe herunterschreitet, wunderbar leicht im Raum verströmt.
Einen besseren Ort hätten sich die Sänger des Backstein Theaters für den „Day of Song“ am Samstag kaum aussuchen können. Die Halle unterstützt den Klang und hat einen weiteren Vorteil: Man kommt nicht so einfach am Chor vorbei. So bleiben nicht nur Freunde des Gesangs stehen, die extra wegen der Gruppe gekommen waren, sondern auch Menschen, die nur schnell mit der U-Bahn in die City wollten. Viele machen Ohren, als sie die Rolltreppe hochtraben. Aus 50 werden schnell 100 und mehr.
„Seid willkommen, ihr alle“ – in afrikanischer Sprache –, begrüßt sie der Chor mit Bombo-Trommel und Charango-Laute. Die Instrumente brachten die kubanischen Musiker Pedro und Daniela Prado mit. Und es bleibt international: Kubanische und karibische Lieder hört man, auch deutsche. Nach einer halben Stunde wird es jazzig, modern: Das Ensemble N8klang übernimmt mit „Night and Day“, „How deep is your love?“.
Doch die Zeit drängt, um fünf vor zwölf wollen sieben Chöre auf dem Synagogenplatz eine gemeinsame Performance wagen: „O la, O che bon eccho“ – ein Stimmen-Spiel aus Ruf und Antwort lässt die Gruppen, die sich an den Platzecken aufgestellt haben, sich langsam zur Mitte bewegen. Schnalzend, klatschend. Hunderte Schaulustige lecken Eis am Hayek-Brunnen oder stehen im Häuserschatten; viele warten auf eins: das Steigerlied. Um 12.10 Uhr soll es ruhrgebietsweit erklingen. Als die Glocken verstummen, setzen die Sänger an: „Glück auf, Glück auf . . .“
Bei so viel rührseliger Revier-Nostalgie wird sogar die bemerkenswerte Strophe nicht vergessen: „Die Bergmann’s Leut sein’s kreuzbrave Leut, denn sie tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht, und saufen Schnaps.“ Man sagt, sie sei nur im Ruhrgebiet verbreitet. Es mag stimmen, wenn man sieht, wie viele Zuschauer sie textsicher beherrschen. Sie sorgt jedenfalls für einen heiteren Gegenpol. Grönemeyers „Komm zur Ruhr“ im Anschluss mag dagegen nicht so recht zünden. Doch egal: Gleich mehrere Zugaben verlangen die Menschen auf dem Synagogenplatz.
Derweil haben der Männerchor 1876 der Mannesmannröhren-Werke und der Männergesangsverein Einigkeit 1883 Dimbeck am Forum ein Alternativprogramm mit deutschem Liedgut zu bieten. Das ist nicht so stark besucht wie jenes vor dem Medienhaus, dennoch hörenswert: „Lieber, lieber Gott, immer nur Wasser – ich trink viel lieber goldnen Wein“, heißt es dort. Aber besser nicht bei sonnigen 26 Grad, am Abend muss man fit sein für Schalke.