Wohnen in der Natur – äußerst attraktiv. Die Nachfrage ist in Mülheim da, das Angebot höchst überschaubar. Doch dort, wo die Stadt Baurecht im Grünen schaffen will, stößt sie auf heftigen Widerstand von Bürgern und Umweltverbänden.

Widerstand gibt es an der Tilsiter Straße gegen die dortigen Bebauungspläne. Aktuell wegen des Planes, auf einer als Pferdekoppel genutzten Obstbaumwiese, angrenzend an ein europäisch geschütztes FFH-Schutzgebiet (FFH: Fauna – Flora – Habitat) zwischen Mendener und Bergerstraße 14 Einfamilien- und fünf Doppelhäuser entstehen zu lassen.

Schon im Planungsausschuss stimmten MBI, Grüne und Linke erfolglos dagegen. Jetzt stoßen die MBI erneut vor, sie wollen das potenzielle Bauland aus dem Flächennutzungsplan gestrichen sehen. Ihr Antrag wird am 7. Juni zunächst die Bezirksvertretung 1 beschäftigen. Die MBI wollen die Fläche möglichst zum Landschaftsschutzgebiet umgewidmet sehen.

Der WAZ liegen zwei weitere der 42 bis gestern schriftlich formulierten Einwände gegen das Bebauungsvorhaben vor. Der Nabu-Ruhr wehrt sich gegen eine weitere Zersiedelung der Landschaft. Alte Hecken und Obstbäume, die Platz machen müssten, seien für die Landschaft prägend und Lebensraum für viele Vögel. Der Nabu beklagt einen Verlust von Freiflächen und die Nähe zum FFH-Gebiet.

Der Saarner Umweltverein hat aus ähnlichen Gründen Einspruch erhoben. Dessen Vertreter Detlef Habig schießt scharf gegen Verwaltung und politische Mehrheit: „Der Zustand der natürlichen Lebensräume verschlechtert sich durch ihre Planungen unaufhörlich. Die verschiedenen Arten wild lebender Tiere und Pflanzen sind in zunehmender Zahl ernstlich bedroht.“ Ein Bebauungsplan an dieser Stelle sei „nicht im Interesse der Mehrheit der Mülheimer Bevölkerung“.

Der Chef des Stadtplanungsamtes, Martin Harter, macht erst gar keine Anstrengung, „Nutzungskonflikte“ abzustreiten: Auf der einen Seite die Grundstückseigentümer und die Bauwilligen, auf der anderen Anwohner- und Naturschutzinteressen. Trotzdem hält er sowohl eine Bebauung an der Tilsiter als auch an der Mendener/Bergerstraße für vertretbar, weil Eingriffe in das natürliche Umfeld sich in Grenzen hielten. Etwa an der Tilsiter Straße sei die für das Stadtklima bedeutende Kaltluft-Entstehung durch Neubauten „im Endeffekt nur um ein paar Promille beeinträchtigt“. Wenn man aus diesem Grund hier die Nachfrage nach attraktivem Bauland nicht befriedigen könne, so Harter, „darf ich nirgendwo mehr was tun“.

Warum gerade hier? Das fragten auch die Mendener bei ihrer Bürgerversammlung jüngst. Die Antwort ist einfach, wenn auch sicher nicht zufriedenstellend für die Bürger: Es ist politischer Wille. Für den Flächennutzungsplan 2005, der nun im Regionalen Flächennutzungsplan fortwirkt, hat die Politik Festlegungen getroffen. So sind in dem Plan nur mehr drei Gebiete ausgewiesen, die Bauen im Grünen möglich machen können. Darunter die genannten zwei, weiteres potenzielles, aber nicht im Ansatz überdachtes Bauland liegt an der Rembergschule, zwischen Zeppelinstraße und Schlippenweg. „Das wird ein heißes Eisen“, sieht Harter schon jetzt Widerstände, die auch dort, im Naherholungsgebiet für viele, zu erwarten wären.

Mehr Bauland im Grünen sieht die Flächenplanung nicht vor, laut Harter konzentriert sich die Stadt auf viele Stellen der Innenentwicklung. 2005, da längst nicht mehr mit einem Wachstum Mülheims auf bis zu 240 000 Einwohner zu rechnen war, hatte sich die Stadt entschlossen, alte Potenzialflächen in einer Größenordnung von 75 ha nicht länger für Bebauung vorzusehen, darunter 15 ha an Leppkes Feld (Oberdümpten), 5 ha zwischen Essener Straße und Gracht, gar 30 ha östlich des Schlippenwegs und 20 ha zwischen Kölner und Vossbeckstraße am Auberg-Ausläufer.

In Menden sollen nun 1,3 ha bebaut werden. Bernd Geisel, Leiter der Abteilung „Generelle Planung“ im Stadtplanungsamt, sieht für dieses attraktive Bauland Bedarf. „Im Bereich Menden gibt es einen starken Siedlungsdruck, da wollen viele hin, der Standort hat einen hohen Imagewert.“ Und, natürlich: Das Klientel, das nach Menden zieht, dürfte für die Stadt auch unter steuerlichen Aspekten interessant sein. Martin Harter erklärt auch so die Notwendigkeit, attraktives Bauland vorhalten zu müssen: „Es ist wichtig, eine gewisse Bevölkerungsstruktur zu halten, um die Infrastruktur aufrecht halten zu können.“

Mülheim sei als Standort für ein Eigenheim, „vorsichtig formuliert, stark nachgefragt“ – das sagt Thomas Weber, als Prokurist bei der Sparkassen-Tochter FDL zuständig für das Immobiliengeschäft.

Mülheim sei begehrtester Standort im Ruhrgebiet. Das könne man an Grundstücksmarktberichten der Städte ablesen. Besonders gefragt: Einfamilienhäuser mit 120 bis 140 m2 Fläche sowie 300 m2 Garten. Es zeige sich, dass die hohe Nachfrage in Mülheim den Preis nach oben treibe. Das Preisniveau liege höher als in Oberhausen und den angrenzenden Teilen Essens, Duisburg sei weitaus günstiger für einen Immobilienkauf.

Für Weber wäre es ein Leichtes, mehr Häuser im Grünen zu verkaufen. Aber der Immobilien-Experte warnt: Je mehr Natur zugebaut werde, desto mehr nehme die Attraktivität des Wohnstandortes ab. „Irgendwann ist man an dem Punkt, wo eine schöne Wohnlage wegen der Zersiedlung keine schöne mehr ist.“ Die Stadt dürfe ihren Standort-Vorteil, viel Grün zu haben, nicht gefährden.