Was so manchen Profi-Schauspieler verzweifeln lassen würde, meistern Pestalozzi-Schüler spielerisch: ohne Drehbuch ein Stück auf die Bühne zu bringen. Jedenfalls diejenigen, die an der Bewegungstheater-AG teilnehmen.

„Es gibt kein Drehbuch dafür“, bestätigt AG-Leiterin Kirsten Neß. Ein fertiges Stück hingegen schon. Es heißt „Game over“, und wer sich die Beschreibung anhört, würde es wohl eher im Repertoire eines städtischen Theaters vermuten als in der Aula einer Grundschule. Computerspielsucht lautet das Thema. Geschickt verweben die Schüler das echte Leben vor dem Bildschirm mit der Pixelwelt des Monitors. „Das Bewegungstheater arbeitet gern mit der Realität und der Surrealität“, beschreibt Neß das. In den Worten von Hauptdarstellerin Adele klingt es so: „Es geht um ein Mädchen, das immer mehr in diese Welt reingezogen wird.“ Mitschauspieler Mike fügt hinzu: „Weil die so fasziniert davon ist und unbedingt mitspielen will.“

Und so wechselt Adele auf der Bühne die Seiten. Die Realität erkennt der Zuschauer daran, dass sie am rechten Bühnenrand einen großen Papp-Joystick benutzt. Doch schon bald tanzen die Figuren in der Mitte nicht mehr nur nach ihren Klicks, sondern sie selbst wird Teil der künstlichen Spielewelt: Adele wird im Stapelspiel Tetris zum Klotz, den es möglichst ohne Lücke einzuordnen gilt, auf die Moorhühner ballert sie nicht per Mausklick, sondern indem sie den Abzug drückt, und beim Autorennen sitzt sie hinterm Steuer, das sie doch schon längst aus der Hand gegeben hat. Am Ende drückt nicht mehr Adele, sondern drücken die Spielfiguren die Knöpfe am Joystick. Dazu dröhnt Robbie Williams „Let me entertain you“ vom Band.

Mit der Entwicklung haben die Schüler gar ihre Lehrerin überrascht: „Ich wollte gar kein pädagogisches Stück machen“, schmunzelt Neß. Die Grundidee sei nur gewesen, das Thema Computerspiele buchstäblich mit Hand und Fuß umzusetzen – im Bewegungstheater sprechen Darsteller durch Bewegungen; die der Pantomime verwandte Kunst braucht keine Worte.

Bis die Bewegungen für sich sprechen, braucht es spontane Ideen, wie Neß erklärt: „Vieles kommt aus der Improvisation.“ Am Anfang habe zum Beispiel eine Aufgabe gestanden wie: „Finde verschiedene Möglichkeiten, von links nach rechts über die Bühne zu gehen.“ Aufrechter Gang, beide Arme steif nach vorne gestreckt – schon sieht ein Schüler aus wie der L-förmige Baustein aus Tetris. Müdigkeit, Freude, Anstrengung, Schüchternheit – kein Gefühl, das die Schüler nicht durch ihre Körper ausdrücken können. Stehen Bewegungen und Ideen, fehlen noch die Bänder, die das Gerüst zusammenhalten – der Plot.

Mit ihnen selbst hat das Stück allerdings wenig zu tun, meinen die Schüler. Schließlich sei jemand erst süchtig nach PC-Spielen, „wenn man Schule schwänzt und den ganzen Tag davor sitzt“, findet Mike. Aus der AG nehmen sie aber eine Warnung mit, vorsichtig mit Games umzugehen. Adele sagt: „Ich möchte gar nicht so viel spielen, sonst werd’ ich noch süchtig.“ Viel wichtiger ist AG-Leiterin Neß der Spaß ihrer Schützlinge – und der Stolz, wenn sie wieder eine Aufführung erfolgreich über die Bühne gebracht haben. „Ich hab’ von den Eltern gehört, was das für einen wahnsinnigen Schub gibt in Sachen Selbstbewusstsein.“ Ihrer Meinung nach bietet die AG den Schülern etwas, das sie den Ort des Lernens mit Spaß und Stolz betreten lässt. „Das haben wir in Deutschland viel zu wenig.“