Mülheim .
Gibt es Mülheimer und Ausländer, Mülheimer mit und ohne Migrationshintergrund – oder einfach Mülheimer?
Während sich in Berlin Politiker und Gelehrte die Köpfe darüber zerbrechen, was Integration ist und wie sie gelingen kann, hat die WAZ zwei Mülheimer um Antworten gebeten, die sich diese Fragen täglich in der Praxis stellen: Ulrike Nixdorff, Leiterin der Hauptschule Dümpten, und Enver Sen, Vorsitzender des Integrationsrates.
Für Sen bedeutet Integration zunächst einmal „Zugang zu Bildung, Arbeit, einem besseren Leben. Chancengerechtigkeit.“ Zwar beurteilt er die Lage in der Ruhrstadt durchaus positiv. „In Mülheim sind wir in einer glücklichen Lage.“ Aber er gibt auch zu bedenken: „Es gibt immer wieder Probleme, die an uns herangetragen werden.“ Das betreffe zum Beispiel Kindergartenplätze, den Übergang zu weiterführenden Schulen oder in die Ausbildung. Besonders das Thema Schule liegt ihm am Herzen. Das Ziel dort sei erst erreicht, „wenn die Lehrer die Kinder nicht mehr nach ihrer Herkunft aussortieren“.
An der Hauptschule Dümpten sei das der Fall, findet Schulleiterin Ulrike Nixdorff. „Die Integration unserer Kinder ist gar kein Thema, die findet einfach statt.“ Weder im Klassenzimmer noch auf dem Schulhof würden Hautfarbe oder Religion eine Rolle spielen, sagt sie: „Streit gibt’s zwischen dem einen und dem anderen, aber nicht zwischen dem Moslem und dem Christen.“ Die Pädagogin fügt hinzu: „Wir sind von Integration inzwischen weg, wir leben Inklusion.“ Was sie damit meint, erläutert sie mit einem Beispiel: Bei der letzten Fußballweltmeisterschaft gewann erst die Türkei ein wichtiges Spiel, einen Tag später Deutschland. Nixdorff erinnert sich: „Als die türkischen Kinder auf dem Schulhof gefeiert haben, hab’ ich mich mit denen gefreut. Am nächsten Tag haben wir zusammen gefeiert, dass die Deutschen gewonnen haben.“
Diese Episode unterstreicht, was Sen in Worte fasst: „Ausländische Schüler sind keine Ausländer mehr. Sie sind hier geboren.“ Und: „Deutschland ist unsere Wahlheimat. Wir sind hier, weil wir hier sein wollen.“ Dieses Wollen ist vielleicht genau der Unterschied zwischen Zugewandert-Sein und Angekommen-Sein – und fällt wahrscheinlich leichter, wenn gilt, was für Schüler und Lehrer an der Hauptschule Dümpten selbstverständlich ist: „Jeder wird so genommen, wie er ist“, garantiert Nixdorff. „Toleranz, Akzeptanz und Offenheit“ seien an ihrer Schule keine leeren Worte, sondern würden gelebt. Sen betont, dass es nicht nur Aufgabe der Deutschen sei, diese und andere Werte mit Leben zu füllen. „Die Migranten müssen sich bemühen, in dieser Gesellschaft anzukommen und ihre Spielregeln einzuhalten“, fordert er. Und verlangt: „Sie müssen ihre Chance auch suchen und dafür kämpfen. Sie müssen erkennen: In dieser Gesellschaft gibt es Chancen, und die müssen wir auch ergreifen.“
Was die Voraussetzung dafür angeht, sind sich Nixdorff und Sen einig: Nur dem Redenden kann geholfen werden – auf beiden Seiten. „Gespräche sind immer besser als keine Gespräche“, findet Sen. „Themen müssen sichtbar sein.“ Nixdorff würde sich zwar „eigentlich wünschen, dass alle so integriert wären, dass wir die Islamkonferenz nicht bräuchten.“ Vielleicht macht sich die Konferenz in absehbarer Zukunft ja selbst überflüssig. Denn wenn es nach Nixdorff geht, ist der Schlüssel zur Integration, was dort hoffentlich geschieht: „Offen aufeinander zuzugehen und neugierig aufeinander zu sein – und das tun zu können, ohne Angst vor der Frage oder der Antwort zu haben.“