Steigende Fallzahlen auch im letzten Jahr belegen, die Arbeit der Awo-Schuldnerberatung wird stark nachgefragt. Doch hinter den steigenden Fallzahlen verbirgt sich auch immer mehr Arbeit für die Berater. Und nun droht ein Stellenabbau.

Suchte man eine Branche, die ungehemmt wächst, die Schuldenberatung wäre so eine. Das belegt der gestern vorgelegte Jahresbericht für 2009 der Awo-Schuldnerberatung, denn wieder sind die Fallzahlen gestiegen. 1434 Fälle wurden 2009 bearbeitet, 58 mehr als noch im Jahr zuvor. Um so mehr empört sich Geschäftsführerin Adelheid Zwilling, dass ihr durch das Mülheimer Sparkonzept eine Personalreduzierung droht.

„Erst im Dezember haben wir endlich einen fünften Mitarbeiter dazu bekommen“, berichtet sie, „dafür haben wir mehr als zwei Jahre gekämpft.“ Die Zahl der Beratungsgespräche hat sich in den letzten Jahren so sehr erhöht, dass die Mannschaft von der Awo längst an ihre Grenzen gestoßen war. Über 470 Fälle hatte jeder der Festangestellten im letzten Jahr auf dem Tisch. „In diesem Jahr werden es garantiert noch mehr. Kurzarbeit und steigende Lebenshaltungskosten werden sicher noch mehr Menschen in finanzielle Nöte treiben“, prognostiziert sie. Müsste sie nun den erst kürzlich eingestellten Neuzugang wieder entlassen, hätte das zwangsläufig ein schrumpfendes Beratungsangebot zur Folge. „Wir müssten dann zum Beispiel sagen, wir kümmern uns nur noch um ALG-II Bezieher, da trägt nämlich die Arbeitsagentur die Beratungskosten“, warnt Adelheid Zwilling.

Dies hat den Schönheitsfehler, dass längst nicht nur Arbeitslose Kunden der Schuldnerberatung sind, auch wenn ALG-II Bezieher mit 609 Fällen die größte und am stärksten wachsende Gruppe ausmachen.

Die Finanzkrise zeigt auch ganz normalen Familien ihr hässliches Gesicht und treibt sie immer tiefer in die Schulden. „Auf einmal fehlen etwa durch Kurzarbeit einige hundert Euro in der Familienkasse“, beschreibt Awo-Berater Carsten Welp, „die Zinsen auf Kredite oder die Raten für das Haus laufen aber weiter.“ Erst jetzt rächen sich die riskanten Finanzierungsmodelle gerade im Immobilienbereich, auf die sich in den vergangenen Jahren viele Kleinverdiener eingelassen haben. „Riskante Vollfinanzierungen ganz ohne Eigenkapital haben in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen“, bilanziert Welp, „nun heben die Banken die Zinsen an.“

Zugenommen haben aber nicht nur die Fallzahlen. Auch die Komplexität der einzelnen Schicksale ist gewachsen, was den Arbeitsaufwand für die einzelnen Awo-Berater ebenso erhöht. „Zudem ist es heute viel schwieriger geworden, mit Banken und Gläubigern zu verhandeln“, ergänzt Carsten Welp. Plötzlich gehören Banken zu anderen Konzernen, arbeiten mit externen Inkasso-Büros zusammen, und die Ansprechpartner wechseln laufend, weil Call-Center die Kundenberatung übernehmen. Durch die Krise drängen Gläubiger zudem schneller auf eine Privatinsolvenz ihrer Schuldner und haben weniger Interesse an außergerichtlichen Einigungen – auch weil ihnen selbst oft das Wasser bis zum Hals steht.

Um so wichtiger ist Präventionsarbeit, hebt Geschäftsführerin Adelheid Zwilling hervor. Und die trägt in Mülheim durchaus Früchte. Gerade für jüngere Zielgruppen hat die Awo weitere Beratungsangebote entwickelt, mit dem Projekt „Finanzfrüherziehung“ tritt sie sogar an Kindergartenkinder heran. Mit Erfolg: Im Bereich der Unter-20-Jährigen und bei den 20- bis 30-Jährigen sind die Fallzahlen – gegen den Trend – stark gesunken.