Schreiben gehört unbedingt dazu, wenn jemand bei „2-3 Straßen“ mitwirkt. Während das gemeinsame Buch zu einem Mammutwerk wächst, sammelt ein Internet-Blog kritische Stimmen.

Wer mittexten möchte, ob Projektteilnehmer oder Gast, braucht auf dem Rechner ein spezielles „Schreibtool“. Man könnte auch sagen: ein bestimmtes Computerprogramm. Dieses wurde von der Software-Firma Neuland eigens für das Kulturhauptstadtprojekt entwickelt.

Um die Technik vor Ort kümmert sich der Projektmitarbeiter Matthias Joschko. Er spielt denen, die möchten, das Schreibtool auf den PC oder Laptop. So war er vergangene Woche im Appartement von Dieter Schapka, der seit Juni hier wohnt. Er hat „2-3 Straßen“ kennengelernt und Lust bekommen, mitzutexten.

Um Stoff zum Schreiben ist der 64-Jährige Schapka, ein früherer Feuerwehrmann, nicht verlegen. Er hat einige Abenteuertrips hinter sich und überträgt nun sein Reisetagebuch aus dem Sommer 2008: „Ich bin mit einem 6-PS-Dieselmotorrad nach Wladiwostok gefahren.“ Mehr als zwei Monate dauerte die Tour. Details sind nachzulesen im „2-3 Straßen“-Buch, das Anfang 2011 erscheinen soll.

Alle beteiligten Autoren melden sich unter einem Pseudonym an. Auch die Projektteilnehmer, die sich vertraglich zum regelmäßigen Schreiben verpflichtet haben und dafür mietfrei wohnen. Die Texte sollen anonym veröffentlicht werden, und zwar chronologisch: in der Reihenfolge, in der sie im großen Pool ankommen. So will es der Künstler, Jochen Gerz.

Wer sich das Schreibtool auf den Bildschirm holt, sitzt vor einer leeren Seite, kann schreiben, speichern, aber sonst nichts. Der Text lässt sich weiter nicht formatieren, und niemand sieht, was andere verfasst haben. Fast niemand: Alle Fäden laufen beim Lektorat zusammen; zwei Mitarbeiterinnen, die in Essen sitzen. „Sie verändern nichts“, erklärt Matthias Joschko, „korrigieren höchstens grobe Rechtschreibfehler.“

Der Halbzeitstand Ende Juni sah so aus: 386 Personen, darunter zahlreiche Besucher und Nachbarn, haben zusammen mehr als 4,5 Millionen Textzeichen verfasst. Mit dem Doppelten ist bis zum Jahresende zu rechnen. Den Umfang des Buches, wohlgemerkt: ungekürzt, kann man sich bislang kaum vorstellen. Ebenso wenig den Inhalt, Matthias Joschko ahnt allerdings: „Was das Lesevergnügen angeht, wird es wohl harter Tobak.“

Nachprüfen können diese Vermutung alle Besucher des Essener Folkwang-Museums. Hier zeigt Gerz seit Anfang Juli eine Installation zu „2-3 Straßen“: Das bisher gesammelte Material schleicht als Fließtext über einen großen Flachbildschirm. Diese Vor-Veröffentlichung hat mit dazu geführt, dass einige kritische Projektteilnehmer aus Mülheim einen Internetblog ins Leben gerufen habe, für jeden einsehbar unter www.2-3etagen.tumblr.com. Man fühle sich nicht länger an „Verschlossenheit“ bis zur Gesamtpublikation gebunden, heißt es hier. Die Plattform wird als „eine Art Betriebsrat von 2-3 Straßen“ bezeichnet, ihre (anonymen) Betreiber schreiben: „Motivation dieses Blogs ist Furcht vor Zensur“.

Hintergrund ist die offene Unzufriedenheit einiger Teilnehmer mit dem Auftreten und der Arbeitsweise von Jochen Gerz. Zu viel Kontrolle und Bewertung, heißt es, zu wenig Transparenz. Es geht u.a. darum, welche Aktionen offiziell unter „2-3 Straßen“ laufen dürfen und auch finanziell unterstützt werden, welche nicht. Ein Gruppentreffen neulich, zu dem nur Vertreter „förderungswürdiger“ Projekte eingeladen waren, verärgerte manche. So Harald Gerhäußer, der in seiner Wohnung bereits drei Ausstellungen veranstaltete: „Jochen Gerz meinte allerdings, dass dabei das Mitmach-Element fehlte.“

Für den 10. August hat der Künstler seinen nächsten Besuch im Hochhaus angekündigt und Einzelgespräche vorgeschlagen. Gerhäußer will das Angebot annehmen. Und dann weitersehen.