Nach den Lobbygruppen hatten am Montagabend erstmals die Bürger das Wort: Bei der ersten von drei Werkstatt-Veranstaltungen in der Realschule Stadtmitte hatten sie die Möglichkeit, eigene Vorschläge zur Haushaltssicherung einzubringen.
Kämmerer Uwe Bonan war zufrieden: Nach nervraubenden Anlaufschwierigkeiten hat er nun einige mehr als die eigenen 197 Positionen auf seiner „Giftliste“.
Basisdemokratie will geübt sein. Auch Basisdemokratie braucht Regeln. Der Moderator des Bürgerforums, Marcus Bloser von der eingekauften IKU GmbH aus Dortmund, hatte am Montagabend einige Probleme, den mehr als 200 Anwesenden – darunter viele Kommunalpolitiker, Verwaltungsmitarbeiter und Interessensvertreter -- seine Spielregeln schmackhaft zu machen. Nach einführenden 20 Minuten von OB Dagmar Mühlenfeld über zu schluckende Kröten und wenig vergnügliche Sparzwänge führte Kämmerer Uwe Bonan eine halbe Stunde in den Haushalt ein.
Danach war die Geduld einiger Mitsprachewilliger im Saal aufgebraucht. Moderator Bloser schaffte es nicht, den Ruf nach sofortiger Aussprache zu kanalisieren. Es folgten 45 nutzlose Minuten des Polemisierens und Debattierens. Kommunalpolitiker wie Detlef Habig und Werner Helmich echauffierten sich über dies und jenes in der Stadtpolitik, nahmen damit aber den Otto Normalbürgern, denen diese Veranstaltung eine Plattform sein sollte, den Raum. Erst der engagierte Aufruf zur Besonnenheit von Marlies Rustemeyer (CBE) verhinderte, dass noch mehr Bürger als zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon frustriert die Aula verließen.
Endlich ging es los. Chefs und leitende Mitarbeiter aller sechs Dezernate der Stadtverwaltung warteten an Marktständen auf meinungsfreudige Bürger – die aufgestellten Pinnwände füllten sich schnell mit Zetteln: Daran sollte auf keinen Fall gespart, hier könnte gespart, so könnten mehr Einnahmen erzielt werden . . .
Das Bilanzergebnis der eingebrachten Ideen dürfte das Konsolidierungsziel von mindestens 52 Mio Euro verfehlt haben, die Veranstaltung erreichte dennoch ihr Ziel. Stadtspitze und Politik konnten wahrnehmen, wie das Herz der Bürger schlägt. Eindeutig schien das Votum gegen die Schließung des Friedrich-Wennmann-Bades, die Kulturlandschaft fand in ihrer jetzigen Form viele Fürsprecher, wenn auch die Meinung zum Kunstmuseum geteilt war. Kritik gab es am Festhalten an Ruhrbania, am Abriss des Brückenbaus Tourainer Ring, an städtischen Gesellschaften, allen voran an der MST (Mülheimer Stadtmarketing und Tourismus).
Kämmerer Bonan freute sich insbesondere, dass neue Konsolidierungsvorschläge auftauchten, etwa Einnahmen durch die Einführung von Anwohner-Parkausweisen zu erzielen. Eine Dame regte an, über Bürgeranleihen nachzudenken: Die Stadt leiht sich weniger bei Banken, sondern zu günstigeren Konditionen bei Bürgern . . .
Das, was Bürgerin Angelika Romeik bei der Aussprache zum ersten Haushaltsforum am Montag zu sagen hatte, freute OB Dagmar Mühlenfeld ungemein. Das schätze sie an den Mülheimern: „Sie kommen schnell zum Kern, dass sie ihre Stadt lieben und sich einmischen wollen.“
Angelika Romeik, für die Lokale Agenda 21 aktiv, hatte Mut zu machen versucht. Nicht alles müsse den Bürgern kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Und: Je mehr Bürger sich einbrächten, um Lebensqualität in der Stadt zu sichern, desto besser werde dies gelingen. Misslagen in Zeiten der Finanzkrise mit mehr bürgerschaftlichem Engagement zu begegnen – diese Meinung fand sich oft auch an den Pinnwänden wieder, an denen die Verwaltung die Ideen der Bürger zur Haushaltskonsolidierung sammelte. Da war Romeiks globale Vision, das „Bürgerbeteiligung beim Sparen helfen kann“. Es ging bis hin zur Forderung, städtische Aufgaben durch Ehrenamtliche wahrnehmen zu lassen – samt Online-Plattform: „Ehrenamtliche gesucht für . . .“ Ein Vorschlag lautete: „Mehr Eigeninitiative ermöglichen und fachlich begleiten!“
Andere plädierten für mehr Eigenverantwortung. So könne die Reinigung von Bürgersteigen komplett in Bürgerhand gegeben werden. Selbst in der Schwimmbad-Frage gab es den Ruf, Vereine könnten das Friedrich-Wennmann-Bad übernehmen. Insgesamt stellte sich heraus: Die von der Stadtspitze vorgeschlagene Schließung des Wennmann-Bades stößt am meisten auf Widerspruch. Ein Bad müsse bleiben, war zu vernehmen.
Der Fortbestand des Tierheims lag vielen Teilnehmern am Herzen, der Kulturbetrieb hatte reichlich Unterstützer in der vom Bildungsbürgertum geprägten Teilnehmerschaft um sich geschart, um deutlich zu machen: Die geplanten Einsparungen im Kulturbereich gehen deutlich zu weit. Die Pinnwand von Dezernat IV (Schule, Jugend, Kultur) war prall gefüllt mit roten Karten: Nichts schließen! Nichts kürzen!
Aber auch hier gab es Einsparvorschläge, die Kämmerer Bonan bisher nicht auf dem Zettel hatte: etwa den, dem „elitären Theater“ nicht weiter Unterstützung durch die Allgemeinheit zu gewähren. Beim Kunstmuseum wollte ein Teilnehmer wohl zum Nachdenken anregen, als er zu Papier brachte, dass das Haus bei 10 000 Besuchern im Jahr einen Subventionsbedarf von 100 Euro pro Besucher habe. Knapper hieß es: „Museum schließen, Kunst verkaufen!“
Etwas kurz gekommen war ein Ideal, das OB Dagmar Mühlenfeld so gerne als außergewöhnliches Prädikat der Stadt sähe: Mülheim – die familienfreundliche Stadt. So erhob sich Renate Trimphaus, zweifache Mutter aus Holthausen, gegen 21.30 Uhr als eine der letzten Verbliebenen im Forum: Vieles im Konsolidierungspaket, von der Grundsteuer-Erhöhung über Bad-Schließungen bis zu höheren Beiträgen für Kita, OGS und Schulspeisung, treffe Familien „sehr geballt. Das ist nicht ausgewogen. Das schockiert mich.“ Renate Trimphaus will das Wennmann-Bad erhalten sehen. Was sie zur Gegenfinanzierung vorgeschlagen hat, mag sie nur hinter vorgehaltener Hand verraten. Sie weiß, dass man sich damit schnell unbeliebt macht. Deshalb neidet sie Kämmerer Bonan auch nicht seine „schwierige Aufgabe“, knapp 170 000 Bürgern, so gut es geht, gerecht zu werden.