Mit einem nie dagewesenen Sparpaket versucht die Stadt, die drohende Pleite zu verhindern. Kämmerer Uwe Bonan und Dagmar Mühlenfeld legten gestern 197 Maßnahmen vor, mit denen sich 61 Millionen Euro bis zum Jahr 2013 einsparen ließen.
Ein Rettungsversuch und ein Vorschlag für die Politiker und für die Bürger, auf die massive Veränderungen zukommen.
185 Planstellen sollen im Rathaus durch Fluktuation eingespart werden, das Friedrich-Wennmann-Bad und das Naturbad Styrum sollen aufgegeben werden wie die Jugendherberge. Kürzungen sind bei der VHS ebenso vorgesehen wie bei Verbänden und Vereine, Einsparungen will man beim Hausmeisterdienst an Schulen erzielen, die Fahrbücherei oder Zweigstellen stehen auf der Streichliste, aber auch die Aufgabe der Sinfonie- und Kammerkonzerte.
Der Bürger wird aber nicht nur Kürzungen und Streichungen erleben, sondern auch mehr zahlen müssen. Der Vorschlag der Stadtverwaltung sieht vor, die Grundsteuer B zu erhöhen, die Elternbeiträge für Kitas und Ganztagsschulen sollen steigen, Park- und Friedhofsgebühren auch. Und selbst der Hund wird teurer – wenn die Politik folgt.
Auf 392 Seiten hat der Kämmerer seine Vorschläge unterbreitet. „Was sollen wir an Hilfen vom Bund und vom Land erwarten, wenn wir nicht selbst rigoros sparen?“ fragt die Oberbürgermeisterin.
Mülheim ist arm: 97 Millionen Euro fehlen der Stadt, ein neuer Tiefpunkt in der Reihe der jährlichen Defizite. Und wenn nichts passieren sollte, die Belastungen und Aufgaben für die Stadt bleiben, wie sie sind, wenn die Einnahmen nicht deutlich steigen – ja dann wäre Mülheim 2018 pleite. Schon im Jahr 2013, zeigt Kämmerer Uwe Bonan auf, belaufen sich die Kassenkredite auf 715 Millionen Euro.
Mülheim ist überfordert: Wie bei all den anderen Städten im Ruhrgebiet und im Bergischen Land, die sich zum Bündnis „Raus aus den Schulden“ zusammengeschlossen haben, sind die Ausgaben für Sozialleistungen explodiert. Pro Jahr und Kopf zahlte Mülheim im Jahr 2000 noch rund 320 Euro im Jahr, heute sind es 450 Euro, weit darunter das übrige NRW. Allein für die Grundsicherung im Alter, wenn die Rente zum Leben nicht reicht, muss die Stadt inzwischen über zehn Millionen Euro aufwenden, vor fünf Jahren war es noch die Hälfte. Gerade in der Altersarmut sieht Bonan noch Zündstoff.
Er findet, dass Finanzwissenschaftler Prof. Martin Junkerheinrich den Nagel auf den Kopf trifft. Der nämlich sagt: „Die Zunahme der kommunalen Kassenkredite ist ganz wesentlich dadurch bestimmt, dass zahlreiche Landesgesetze von Bund und Land den Städten zusätzliche und nicht hinreichend gegenfinanzierte Lasten beschert haben.“ Auf jährlich 35 Millionen Euro beziffert der Kämmerer die Lasten für die Stadt durch Gesetze, die von der Stadt umgesetzt werden müssen, ohne dass es dafür eine finanzielle Unterstützung gibt.
Und noch eine Pflichtaufgabe zieht die Stadt in die Tiefe: Bislang musste Mülheim 142 Millionen Euro für den Aufbau Ost aufbringen, bis zum Jahr 2019 sollen es noch einmal 127 Millionen sein. „Das Geld müssen wir uns von den Banken leihen“, beklagt Bonan und kann noch froh sein, dass derzeit ein historisches Zinstief herrscht. Gerade dieses Tief ist für ihn aber auch ein weiteres Argument für einen Schuldenabbau: „Wenn, dann jetzt.“
Denn Zinsen können steigen und sind nur ein Risiko von vielen, die den Haushalt umgeben: Die Betreuung der Kinder unter drei Jahren soll ausgebaut werden, die Folgen der Finanzkrise sind längst noch nicht absehbar, neue Steuergesetze entlasten zwar den Bürger, belasten aber dafür die Kommunen.
Mülheim ist daher fordernd: Ein Entschuldungsfonds des Landes muss her. Für jede Aufgabe muss es eine angemessene Finanzausstattung geben. Der Soli-Beitrag Ost muss neu auf notleidende Städte ausgerichtet werden. Der Bund muss mehr zu den Sozialaufwendungen beisteuern. Für die Kinderbetreuung muss die Stadt mehr Geld erhalten, und noch ein Muss setzt die Stadtspitze hinzu: Eine unabhängige Kommission muss prüfen, ob ein Leistungsgesetz von der Kommune finanziell zu bewältigen ist.
Die OB gibt sich besorgt: Die Zukunft der Städte sieht sie in Gefahr. Sie gibt sich aber auch zuversichtlich, dass die Landesregierung in Kürze einen Vorschlag machen wird, um das Überleben der Städte zu sichern. Die kommunale Selbstverwaltung sei ein hohes Gut, das immerhin im Grundgesetz verankert ist.