Ein Internetcafé. Im Hintergrund vertreiben sich ein paar Gäste die Zeit, im Vordergrund starrt ein junger Türke immer verkniffener auf den Monitor. Das Stück „I kill you“ des Jungen Theaters zum Islamismus.

Immer verspannter werden seine Schultern, immer hektischer hämmert er auf die Tasten. Plötzlich brüllt und springt er auf, schimpft und flucht in seiner Muttersprache – nur die Worte „Bill Gates!“ sind zwischen den türkischen Brocken zu verstehen – packt sich die Tastatur und zerschmettert sie auf dem Tisch. Mit einem spröden Knacken geht sie zu Bruch; die Tasten fliegen wie Zähne nach einer Schlägerei in alle Richtungen, nur das Blut fehlt.

Wenige Minuten zuvor: Eine Shisha blubbert vor sich hin und verströmt ihren süß-aromatischen Duft, auf einem Tisch locken Weingummi, Brezeln, Weintrauben und mundgerechte rote Brocken Wassermelone. In einem Sitzkreis auf der sonnigen Terrasse können sich Schauspieler und Casting-Teilnehmer zum ersten Mal beschnuppern, während Schauspieler und Regisseur Erhan Keskin erklärt, dass hier kein Profi gesucht wird, sondern jemand, der in die Rolle passt.

Eben die Rolle, die Vincenzo Taverna gerade wieder verlassen hat. Jetzt ist er kein Türke mehr, sondern wieder sein italienisches, lässiges Selbst. Seine dunklen Locken fallen ihm kaum gebändigt ins Gesicht, aus dem ständig ein verschmitztes Lächeln strahlt. Ganz besonders, als er etwas verschwitzt und außer Atem, aber mit leuchtenden Augen von der ganz in schwarz gehaltenen Bühne kommt. „Ich fand das sehr, sehr schön“, sagt er. „Das macht großen Spaß, auch mit denen zusammenzuarbeiten.“ Spaß, der ihm ins Gesicht geschrieben steht, ja, selbst in seine Arme und Beine. „Normalerweise spielt man Stücke, die schon älter sind. Das hier ist eigentlich auch ein sehr lustiges Stück“, grinst der 15-Jährige.

Komisch und ,kill’ – passt das überhaupt zusammen? Im Stück „I kill you“ des Jungen Theaters zum Thema Islamismus schon. Aber hier trennen Paartherapie und bierseligen Abend mit Fernsehfußball auch nur ein paar Augenblicke. Hier wird außerdem schon mal eine Badelatsche zur imaginären Fernbedienung: Lachen von der Zuschauerbank, wo die ausrangierten Mitspieler sitzen. Bei der Hitze sind sie wahrscheinlich froh, die Bühne gegen die Bank getauscht zu haben und nicht auf der schwitzigen Schlappe herumdrücken zu müssen.

Für ein Lachen von der Bank würde Vincenzo sich vermutlich gerne die Finger feucht machen. Denn dort sitzen jene, für die er an diesem Tag hergekommen ist: „Theater ist nichts ohne Zuschauer. Wenn man den anderen das nicht zeigen kann, hat man nichts davon.“ Vincenzo will ihnen etwas zeigen, deshalb ist er heute zum Casting gekommen. Das, was er zeigt, kommt gut an. „Er hat diese Verspieltheit, dieses Humorvolle“, lobt Theaterpädagogin Nina Hofmann. Selbst seine Mitspieler auf der Bühne können sich ein Lachen nicht ganz verkneifen.

„Hier kommen Menschen zusammen, die sich normalerweise so nicht zusammenfinden würden“, beschreibt „I kill you“-Regisseur Keskin die Situation seiner multinationalen Truppe. Während die einen improvisieren und die anderen tuscheln, ist er immer mittendrin, nimmt hier einen der jungen Leute in den Arm, klopft dort einem Mädchen auf die Schulter. Der Kontakt zwischen ihm und seinen Schauspielern ist buchstäblich hautnah; Berührungsängste kennt Keskin nicht, und seine Schützlinge fühlen sich wohl bei ihm. Er ist immer dabei, engt sie aber nicht ein: Nichts muss, alles kann, auch eine Badelatsche als Fernbedienung. Unter seiner Hand albert die Truppe herum und kann gerade dadurch zusammenwachsen.

Vorurteile abbauen

Doch die größte Rolle spielt in Keskins Augen etwas ganz anderes: „Das, was sie verbindet, ist das, was sie machen, das Spielen und dieser Ort, das Theater. Ich hoffe nur, dass sie am Ende nicht zu sehr zusammenwachsen.“ Denn dann würde die Reibung fehlen – und gerade die ist es doch, die dem Stück seine Würze verleiht. Und ganz nebenbei Vorurteile abbaut. Bei den Schauspielern – und beim Publikum.

Hintergrund: Das Casting des Jungen Theaters fand an zwei Tagen statt. Drei Jugendliche sprachen für die Rolle von Chico vor. Bekommen hat sie letztendlich Vincenzo. Doch auch den anderen mag Regisseur Erhan Keskin keine Absage erteilen: „Sie sollen auf jeden Fall wiederkommen!“

Wer auch mal reinschnuppern will und mindestens 15 Jahre alt ist, hat an den folgenden Terminen kostenlose Gelegenheit dazu: Samstag, 11. und 18. September, 11 bis 15 Uhr; Dienstag, 21. und 28. September, 17.30 bis 19.30; Montag, 30. August und 6. September, 18 bis 21 Uhr.