Mülheim. .
Autofreie A40: Für einen Tag wurde bei der Ruhr.2010-Aktion Still-Leben die Hauptschlagader des Ruhrgebietes zur Partymeile. Staus gab’s auf dem Mülheimer Abschnitt trotzdem – Fahrrad-Staus.
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag auf der A40“ – wenn man mit diesen Satz von einem UBahn-Fahrer verabschiedet wird, ist gewöhnlich Skepsis angebracht. Schließlich gilt die „Hauptschlagader“ des Ruhrgebiets als notorisch verstopft. Gemeint war es aber ganz ohne Sarkasmus, denn am Sonntag wurde den Boliden eine Ruhezeit verordnet: Stillleben.
Und was für ein ungewohntes „Gemälde“ war dieses: Die Mülheimer begegneten sich nicht – wie gewöhnlich – an der Ruhr, sie waren neugierig auf autofreien Asphalt. Flanierten nicht über die Schlossstraße, sondern zwischen Styrum und Heimaterde. Picknickten an Holztischen auf der Überholspur, statt an den Ruhrauen. Es gab sogar regelrechte Staus. Wer gegen 12 Uhr die Abfahrt Heimaterde hinaufkam, musste sich Richtung Heißen durch ein Nadelöhr von Percussion-Gruppen und Rote-Kreuz-Fahrzeugen hindurchschieben.
Hüfte schwingen statt Stau
Nur um gleich darauf in eine Gruppe Salsa-Freunde zu geraten. Ist das nicht viel zu heiß für Samba und Co? „Nein“, sagt Monika Saß (48), muss aber zugegeben, das die Umgebung „schon gewöhnungsbedürftig“ ist, weil sie hier normalerweise im Stau steht, statt die Hüfte zu schwingen. Nun hatte aber Gitte Hellermann zwei Tische für das Stillleben gewonnen und die Tanzschule Salsa Cubana gleich mitgenommen, außerdem hat die 34-Jährige noch Geburtstag – glücklicher kann es kaum kommen.
Glücklich ist auch Manfred Mons vom Jazzclub, der das Programm gleich für zwei Bühnen bestellt hatte: Zwölf Gruppen lösten sich ab, Musiker sprangen füreinander ein; wenn mal der Pianist im Menschenstau hängen blieb, setzt sich halt der Trompeter an die Tasten – in bester Jazztradition. „Ich freu’ mich, dass sich die ganze ehrenamtliche Arbeit gelohnt hat“, meint Mons. Das Wetter, die Leute – es passt.
Wie aber konnte sich einBVB-Zelt in den Westen verirren? Nun, „Schuld“ daran trägt Albert aus der Beek, der seit 1957 – als die Borussen den deutschen Meistertitel holten – beinharter Fan ist. Und gleich seinen Verwandten- und Freundeskreis verpflichtet hat. Zwölf Männer und weiblicher Anhang haben in Mülheim eine Art schwarz-gelbe Dependence errichtet und besuchen seit 15 alle Heim- und die meisten Auswärtsspiele. Die „Schaaaalke“-Schmährufe aus der vorbeiziehenden Menge, ignorieren sie heute gelassen.
Mit dem Rad nach Styrum - schon 1973
Aus der Beek ist übrigens nicht das erste Mal zu Fuß auf der A40, „1973 sind wir mit dem Rad bis nach Styrum gefahren“, damals schenkte die Ölkrise einen autofreien Sonntag. Diesmal ist der Rummel erheblich größer: kaum ein Mülheimer Verein, kaum eine Partei, die hier nicht vertreten wäre. Am Tisch der OB treffen sogar die Geschlechter aufeinander, im Wettstreit. Es geht darum, wer am schnellsten per Menschenkette einen Liter Ruhrwasser an den Tisch befördert. Und dabei noch das meiste Wasser behält. Mia Sinsbeck (23) hat sich in die Männerkette gemogelt – ein Sabotageversuch? „Nein“, meint sie, „ich will den Männern nur dabei helfen, einmal besser zu sein als die Frauen.“
Die Männer sind (vermutlich deshalb) zwar schneller, allerdings weist die am Ende verbliebene Flüssigkeit eine gewisse „Verunreinigung“ auf. Die Geruchsprobe ergibt: Da ist wohl etwas Mölmsch hinzugekommen. Kristallklar dagegen das Wasser der Damen. Rätsel gibt lediglich der Umstand auf, dass sich zum Schluss mehr drin befindet als noch zu Beginn der Kette. „Es müssen unsere Freudentränen und Schweiß gewesen sein“, mutmaßt jemand. Man einigt sich daher auf unentschieden.
Ein gutes Ende wissen die Mitorganisatoren Hartmut Mäurer und Marc Becker zu berichten: „Keine Einsätze der Polizei warne von Nöten“, zum Schluss gegen 17 Uhr verließen die Menschen friedlich die Autobahn und hinterließen „erstaunlich wenig Müll“, so dass die Aufräumarbeiten pünktlich beginnen konnten. Eines schien mancher jedoch schmerzlich zu vermissen: „Wo ist hier der Zigarettenautomat?“