Mülheim. .
Die Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) arbeitet trotz Sparanstrengungen weiter hoch defizitär. Öffentlicher Personennahverkehr ist zwar immer ein Zuschussgeschäft - die MVG aber fährt ein besonders dickes Minus ein. Branchenkenner sehen einen Grund in der üppigen Infrastruktur vor Ort.
Der Geschäftsbericht für 2009 liegt noch nicht vor – und doch steht eines fest: Die Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) arbeitet trotz Sparanstrengungen weiter hoch defizitär.
Von 2002, als der ÖPNV-Dienstleister wegen steuerlicher Vorteile unter das Dach der Medl gebracht wurde, bis zum Ende des Jahres 2008 summierte sich ein Defizit von gut 206 Mio Euro. Die MVG bleibt Sorgenkind in Zeiten der städtischen Finanzmisere. Wie berichtet, sucht die städtische Beteiligungsholding (BHM) schon neue Lösungen, um dem Energieversorger Medl die große Last möglicherweise aus seiner Bilanz zu nehmen.
In ihrem Geschäftsbericht 2008 hatte die Medl klar zum Ausdruck gebracht, dass ihr der steuerliche Querverbund mit der MVG große Sorgen bereitet. Wieder einmal waren bei dem Verkehrsunternehmen fast 25 Mio Euro Miese angefallen. Aus der Verlustübernahme ergäben sich Bilanz- und Ergebnisauswirkungen, die zu erheblichen Bewertungsabschlägen im Rating von Banken führten; sprich: Will die Medl mittels Krediten investieren, werden höhere Zinsen fällig.
Handlungsbedarf erkannt
Handlungsbedarf wird gesehen, die BHM arbeitet nach Angabe ihres Geschäftsführers Hendrik Dönnebrink bereits an einer „Stabilisierung“ des Finanzierungssystems. Wohl auch auf Druck der Medl, wo die Rhenag als privater Partner Schwankungen im Rating nicht widerstandslos akzeptieren wird.
Öffentlicher Personennahverkehr ist immer ein Zuschussgeschäft, die MVG aber fährt vergleichsweise ein besonders dickes Minus ein. Branchenkenner sehen einen Grund in der üppigen Infrastruktur vor Ort. In einer Stadt mit nur knapp 170 000 Einwohnern neben Buslinien auch noch Verkehr mit U- und Straßenbahn vorzuhalten, sei wirtschaftlich belastend. Die Unterhaltung des Schienennetzes und der U-Bahn-Anlagen sei zu kostspielig in einem kleinen Stadtnetz. Der Betrieb einer U-Bahn etwa bringt außerordentlichen Aufwand für Reinigung, Wachdienst, Wartung – und ein Gleis, das zu ersetzen ist, kostet gutes Geld.
Minus 5,46 Euro pro Kilometer
So kann die MVG ihren Material- und Personalaufwand nicht einmal zu 50 % durch Umsatzerlöse decken. Jeder gefahrene Kilometer im Jahr 2007 schlug mit einem Minus von 5,46 Euro zu Buche – Geld, das von der Medl und aus RWE-Dividenden kommen muss. Im Busbetrieb der HCR in Herne und Castrop-Rauxel etwa liegt der Zuschussbedarf bei „nur“ 1,29 Euro. Das ist ein satter Unterschied, auch wenn nicht verschwiegen werden darf, dass solche Zahlenvergleiche nicht unproblematisch sind.
So profitiert die HCR im Gegensatz zu Mülheim sicher von einem dichter besiedelten Verkehrsgebiet; auch die Takt-Qualität könnte einen Unterschied begründen. Trotzdem noch ein Vergleich: Auch bei der Rheinbahn, die mit Stadt- und Straßenbahn sowie Omnibus in Düsseldorf, im Kreis Mettmann und in einem kleinen Teil des Kreises Neuss verkehrt, ist der Buskilometer für die Allgemeinheit weitaus günstiger als in Mülheim. Im Jahr 2007 waren bei der Rheinbahn für jeden Kilometer 1,36 Euro zusätzliches Steuergeld nötig.
Selbst der Bund der Steuerzahler in NRW lobt die Rheinbahn. Grund dafür ist, dass es der Düsseldorfer Verkehrsgesellschaft gelungen ist, ihr Rekorddefizit von 1993, als 112 Mio Euro Miese gemacht wurden, kontinuierlich zu senken. Im Jahr 2008 endete das Geschäftsjahr nur mehr mit einem Minus von 41,9 Mio Euro. Die Restrukturierung im Betrieb hat erheblich dazu beigetragen, dass die öffentlichen Kassen entlastet wurden.
Kooperation soll Effizienz bringen
Ein Restrukturierungsprogramm für die Mülheimer Verkehrsgesellschaft ist deutlich später ins Rollen gebracht worden. Immerhin hat die MVG ihr Defizit, das mit 33,5 Mio Euro im Jahr 2005 die Spitze des Eisbergs erreicht hatte, damit in den Folgejahren runterfahren können. Die Kooperation mit den Verkehrsbetrieben in Essen und Duisburg (Via) soll innerhalb von zehn Jahren weitere Effizienzgewinne in Höhe von 10 Mio Euro bringen. Die MVG hat für den Via-Start ihr Restrukturierungsprogramm auf insgesamt 10 Mio Euro aufgestockt. 7 Mio Euro davon habe man bereits strukturell eingespart, hatte MVG-Geschäftsführer Klaus-Peter Wandelenus in der zweiten Jahreshälfte 2009 verkündet.
Dies reicht indes nicht, um sich so wirtschaftlich wie die Rheinbahn zu präsentieren. Der Vergleich mit der Rheinbahn sei aber ein Vergleich „zwischen Äpfel und Birnen“, so MVG-Sprecher Nils Hoffmann. „Während Tunnelanlagen und Teile der Infrastruktur in Düsseldorf der Stadt gehören, sind sie in Mülheim im Eigentum der MVG. Das hat zur Folge, dass für alle Aufwendungen an den Anlagen bei der Rheinbahn eine Rechnung an die Stadt Düsseldorf geschrieben werden kann, während die Pflege und Sanierung der Anlagen in Mülheim das Defizit der MVG erhöhen.“
Nichtsdestotrotz werde die städteübergreifende Verkehrsgesellschaft Via dafür sorgen, „dass sich die Kennzahlen in Mülheim deutlich verbessern werden“, so Hoffmann. Von dem identifizierten strukturellen Verbesserungspotenzial von 10 Mio Euro über alle drei Unternehmen werde die MVG wohl in besonders hohem Maße profitieren.
Rheinbahn hat seit 1993 70 Mio Euro Defizit abgebaut
Dass gerade Lob vom Bund der Steuerzahler kommt, da stutzt selbst Rheinbahn-Sprecher Georg Schumacher für einen Moment. Aber doch nur einen: Die Verkehrsgesellschaft aus der Landeshauptstadt strotzt nach dem Kraftakt einer bitter nötigen Restrukturierung vor Selbstbewusstsein. Binnen 15 Jahren hat der kommunale ÖPNV-Dienstleister sein Finanzierungsdefizit um mehr als 60 % reduzieren können. Mit einem Kostendeckungsgrad von 84,2 % im Jahr 2008 fährt die Rheinbahn mittlerweile sehr gut.
112 Mio Euro Miese im Geschäftsjahr 1993 – „da haben wir jeden Stein umzudrehen begonnen“, so Schumacher. Die Effizienz sollte gesteigert werden, von der Verkehrsplanung bis zum Gleisbau stand jeder Bereich auf dem Prüfstand. So habe man sich Angebote privater Buswerkstätten angeschaut und hinterfragt, warum die eigene Werkstatt teurer arbeitete.
1500 Stellen abgebaut
Den Auftrag für die Fahrzeug-Reinigung etwa hat die Rheinbahn nach draußen vergeben, die Stromlieferung ans Haus europaweit ausgeschrieben, beim Kauf von Diesel-Kraftstoffen helfen Swap-Geschäfte sparen. Und: 38 % der Busleistungen sind fremdvergeben (MVG: 18 %) – heißt: Nur zwei von drei Rheinbahn-Bussen, die im Verkehrsgebiet unterwegs sind, zählen zur eigenen Flotte.
Auch einen gewaltigen Personalabbau hat es gegeben. Die Beschäftigtenzahl ist seit 1993 von rund 4000 auf 2500 gesunken. Die Arbeit des verbliebenen Mitarbeiterstamms hat sich verdichtet, im Fahrdienst gibt es kaum noch Reserven. „Zu üppige Reserven sind unnötiger Luxus“, sagt Schumacher. Wenn ein Bus mal wegen Personalmangels nicht fahren könne, zahle man den Kunden lieber ein Taxi. Diese Mobilitätsgarantie sei deutlich kostengünstiger.
Den Takt habe man indes nicht ausgedünnt, so Schumacher. Die Philosophie sei stets gewesen: „Wir wollen mehr Kunden gewinnen.“ Das ist gelungen: Zählte die Rheinbahn 1998 noch 198 Millionen Fahrgäste, waren es im letzten Jahr schon 214 Millionen. Umstellungen im Marketing sind laut Rheinbahn Grund dafür, dass auch die Zahl der Abo-Kunden auf weit über 200 000 gestiegen ist. Inklusive den Effekten der Fahrpreiserhöhungen im VRR schaffte dies ein Umsatzplus von 50 %.
Heute sei die Rheinbahn „in allen Kernkompetenzen noch Herr ihrer selbst“, sagt Schumacher. Aber in der Erbringung der ÖPNV-Leistung sei man heute deutlich schlanker aufgestellt als noch 1993.