Mülheim. .
Das Programm für das Festival „Theater der Welt“ steht. Für die Kulturhauptstadt hat Roberto Ciulli, Intendant des Theaters an der Ruhr, das Festival ins Ruhrgebiet geholt. Margitta Ulbricht sprach mit ihm und Programmdirektorin Frie Leysen über das, was das Ruhr.2010-Publikum erwartet.
Das „Theater an der Ruhr“ und das „Theater der Welt“ sind zwei umtriebige Geschwister auf Entdeckungsreise rund um den Globus. Für die Kulturhauptstadt hat Roberto Ciulli das Festival ins Ruhrgebiet geholt. Erste Kostproben gibt’s Mittwochabend am Raffelberg bei der Programmvorstellung. Darüber sprechen Programmdirektorin Frie Leysen aus Belgien und Roberto Ciulli mit Margitta Ulbricht.
Steht das Programm?
Frie Leysen: Das Programm ist fertig, aber es gibt noch viele Produktionen, die im Arbeitsprozess sind. Wir haben elf Weltpremieren. Dafür proben einige Künstler in ihren Ländern, in Bangkok und Lateinamerika, andere sind hier in der Gegend beschäftigt. Was ich schön finde, ist, dass sich viele Künstler vom Ruhrgebiet inspirieren lassen. Wie die Italienerin Anna Rispoli oder auch der in Paris lebende Schweizer Hans Peter Litscher. Er macht ein Projekt über die Heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute, in Verbindung mit Waffenfabrikanten — eine spannende Synthese. Das Kollektiv Berlin aus Antwerpen arbeitet auf Zollverein. Recherchiert wird, wie es um die Pläne eines Scheichs steht, der auf Zollverein ein Luxushotel bauen möchte.
Frische Ideen und weniger bekannte Namen fallen ins Auge. Wo finden Sie diese Künstler?
Leysen: Die Großen von heute, die kennen wir alle. Ich bin immer auf der Suche nach der nächsten Generation. Nach den Großen von morgen. Weil es einfach spannend ist, Leute einzuladen, die eine autonome, selbstständige und eigensinnige Weise haben, auf die Welt zu sehen. Die eine eigene künstlerische Sprache entwickeln, um ihren Visionen Gestalt zu geben.
Wir haben alle ein bestimmtes Bild, ein Klischee, von einem anderen Erdteil im Kopf. Verändert sich die Sichtweise?
Leysen: Das Bild, dass ich mit dem „Theater der Welt“ vermitteln möchte, ist, dass wir alle, die wir jetzt leben auf der Welt, zwar nicht einen Ort, aber eine Zeit und eine zeitgenössische Sprache teilen. Das haben wir gemeinsam. Genau da möchte ich anfangen, um dann in die Tiefe zu gehen und zu sehen, was die Hintergründe von all diesen Menschen sind, was ihre Kultur und ihre Geschichte, was ihre politische, kulturelle und religiöse Umgebung ist. Da beginnt man am besten mit dem, was uns alle gemeinsam verbindet.
Das Internet macht’s ja vor, wobei lebendiges Theater eine ganz andere Sache ist.
Ciulli: Das ist eigentlich ein Grundgedanke, aus dem wir vor 25 Jahren eine internationale Arbeit begonnen haben — und zwar von Mülheim aus. Die Welt ist rund und auf einem Kreis sind alle Punkte gleich wichtig! Es gibt natürlich eine geografische, soziale und politische Peripherie, manchmal auch Ghettoisierung. Und es ist ein Unterschied, ob ich ein Theater in Berlin mit dem entsprechenden Etat oder ein Theater in Mülheim habe. Aber die Entscheidung war damals zu sagen: Das Theater muss es schaffen, Zentrum zu sein. Das heißt, ein Theater kann eine Utopie für eine Stadt entwickeln. Ich wurde damals gefragt, was machst du in Mülheim, warum gehst du nicht nach Berlin, Hamburg oder Frankfurt? Meine Antwort war: Wir gehen von Mülheim aus in die Welt, denn ich bin für ein Theater auf Reisen und wir werden die Welt nach Mülheim holen.
Das Festival passt zu Ihrer Arbeit?
Ciulli: Ich finde es wunderbar, dass das „Theater der Welt“ nach Mülheim kommt. Bei der Konzeption, die Frie Leysen entwickelt hat, liegt der Akzent klar auf der Fremdheit, mit dem, was wir nicht kennen. Wir haben immer dafür plädiert, und nicht nur, weil die Stücke in anderen Sprachen sind, dass wir im Theater ein Publikum brauchen, dass das Fremde akzeptiert, damit es das Fremde in sich selbst wiedererkennt. Insofern ist das „Theater der Welt“ mit dem Theater an der Ruhr und den Themen, die wir auch ansprechen, verbunden.
Wie ist es Ihnen gelungen, dass Festival für die Kulturhauptstadt zu holen?
Ciulli: Das war eine glückliche Fügung durch die Kulturhauptstadt. Ohne diese Möglichkeit wäre es schwierig geworden. Essen ist sowieso nicht gerade eine Stadt, die das Geld dafür hat. Dabei erwischt uns leider die Finanzkrise mit allem, was wir gerade erleben.
Sparpläne überall. Was sagen Sie denen, die kritisieren, dass Geld für solch ein Festival ausgegeben wird?
Ciulli: In Krisenzeiten, wo das soziale Gefüge wackelt, ist es wichtig, da gibt die Kultur den Menschen die Möglichkeit, nicht so deprimiert durch die Straßen zu laufen. Wir haben kürzlich den Kleinen Prinz in Marl gespielt, das ein wunderschönes Theater hat. Vor der Aufführung bin ich in die Stadt gegangen. Ich bin schon abgehärtet, weil Mülheim zwar eine tolle Umgebung hat, aber es gibt auch hier manche Ecken, wo man merkt, dass die Stadt anfängt abzufallen. In Marl sieht man aber, wie eine Stadt noch mehr runtergekommen ist. Was für ein Publikum und was für eine Atmosphäre werden mich erwarten? Der Vorhang geht auf und ich denke, der Nordpol ist nach Marl gekommen, die absolute Kälte. Dann geht’s los und langsam kommt die Wärme. Am Ende ist es wie eine kleine, sonnige Insel der Wärme, und die Menschen sind ein bisschen glücklicher.
Das heißt auch, dass sich das Publikum darauf einlässt.
Ciulli: Wir spielen keinen „Kleinen Prinz“, in dem die Leute die Geschichte wiedererkennen. Das heißt, sie müssen schon einen Schritt machen, was auch für das Programm von Frie Leysen gilt. Wir brauchen ein Publikum, das bereit dazu ist, die Reise ins Unbekannte zu machen. Und ich glaube, diese Stadt hat dieses Publikum — aber die Zuschauer müssen verführt werden. Dafür steht auch der 28. und die Programmpräsentation.
Die Programmgestaltung lag allein in den Händen von Frie Leysen. Wie ist Ihr erster Eindruck?
Ciulli: Es ist immer schwierig, vorher von Theater zu sprechen. Denn wenn ich über eine Inszenierung spreche, die ich noch nicht gemacht habe, merke ich schon während ich rede, dass ich mich von dem entferne, was ich eigentlich sagen will. Aber was ich sehe ist ein stimmiges Programm, das ganz unserer Auffassung entspricht, was internationale Arbeit sein sollte. Es sind sehr mutige Entscheidungen für Projekte mit dem Blick auf das Unbekannte, das Fremde. Und schließlich kommt es darauf an: Wir machen kein „Theater der Welt“ für Insider, sondern für den Bürger. Verbunden damit, dass die Welt den Blick auf uns lenkt.