"Der Müll, die Stadt und der Tod": Vom Zündstoff war nichts mehr zu spüren nach der Premiere des teils als antisemitisch gebrandmarkten Fassbinder-Stückes. Es wurde vielmehr in der Vergangenheit geschwelgt und ein Genie gefeiert.

Reichlich heiße Diskussionen hatte es im Vorfeld um die Aufführung des Fassbinder-Stückes „Der Müll, die Stadt und der Tod” gegeben. Vollkommen harmonisch verliefen dagegen die „Fassbinder Gespräche” im Theater an der Ruhr. Vom Zündstoff war nichts mehr zu spüren, es wurde viel mehr in der Vergangenheit geschwelgt und ein Genie gefeiert.

Helmut Schäfer hatte zu diesem Gespräch Juliane Lorenz und Christian Braad Thomson an seine Seite geholt. Lorenz, Lebensgefährtin Fassbinders, lernte diesen mit 19 Jahren kennen und arbeitete seit 1976 als Cutterin mit ihm zusammen.

Christian Braad Thomson schrieb das Buch „Fassbinder: Leben und Werk eines maßlosen Genies” und hat Rainer Werner Fassbinder 1969 auf der Berlinale kennen gelernt.

„Fassbinder war Theater-Autor und Regisseur und zugleich Drehbuch-Autor und Filmregisseur. Er hat Theater und Film in sich vereinigt”, tauchte Schäfer in den Abend ein, der sich ein wenig als die Suche nach Fassbinders Identität gestaltete. Und dennoch blieben viele Fragen offen, da der Autor und Regisseur ein sehr umfangreiches Lebenswerk hinterließ.

„Im Grunde ist er immer zweigleisig gefahren”, meinte Lorenz zu Fassbinders Tanz zwischen Theater und Film. Über seine Theaterstücke habe er nach dem Eklat der Uraufführung von „Müll, Stadt, Tod” nicht gesprochen, so Lorenz: „Das Stück hat ihn als Gesamtkünstler lahm gelegt.”

„Er wollte immer Filme machen, doch die Filmhochschule in Berlin hat ihn zweimal abgewiesen”, erinnerte sich Thomson. Das Theater sei für ihn eine Möglichkeit gewesen, den Umgang mit Schauspielern zu lernen. „Er machte Theater, als ob es Filme sind und Filme, als ob sie Theater wären”, ergänzte Lorenz.

Mit seiner Frage, ob Fassbinders Werke politisch seien, brachte Schäfer einen interessanten Aspekt ins Spiel: „Er legte den Finger in die Wunde des Nachkriegsdeutschlands.” Lorenz: „Fassbinder war der Chronist der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.” Er habe Filme über die 50er Jahre, die 68er-Bewegung und die Frauenbewegung gemacht, die sehr kritisch waren. Sein Tenor war stets die Frage: Wie man unter solchen politischen Verhältnissen leben könne. „Er verband Leben, Arbeit und Kunst. Sein Leben war politisch”, unterstrich Lorenz ihre Betrachtungen: „Er konnte keine unpolitischen Filme machen.”

Welche Rolle das Melodram in Fassbinders Arbeit spielte, versuchte man anhand seiner Verbindung zu Regisseur Douglas Sirk zu erörtern. Sirk hatte es in den 50er Jahren zum erfolgreichen Regisseur von Melodramen geschafft und soll für Fassbinder so etwas wie die ideale Vaterfigur gewesen sein.

Das Publikum war vom sehr persönlichen Exkurs in Fassbinders Schaffen begeistert. Warum in Paris vor allem junge Leute Fassbinders Filme sehen, wollte ein Zuschauer wissen. „Fassbinder kriegt man nicht tot”, lachte Lorenz und erklärte, dass er gerade bei den französischen Cineasten sehr beliebt ist und ein „Underground-Idol der jungen Leute” sei.