Dass Vergangenes gar nicht so fern ist, erfuhren 20 Abiturienten der Luisenschule. Sie gingen in Mülheim auf die Suche nach historischen Orten, fanden dabei geschichtsträchtige Geschichten über jüdisches Leben in der Stadt und entwickelten so einen Stadtrundgang für Schüler. Am gestrigen Internationalen Holocaust-Gedenktag besuchten die ersten Jugendlichen die acht Stationen.
Der Anlass lässt die Route rotieren. Eigentlich wäre der Jüdische Friedhof die letzte Station des Rundgangs. Doch diesmal fängt die Gruppe, der neben den Abiturienten auch Luisenschüler der neunten und zehnten Klassen angehören, am Ende an. Auf eisglatten Bürgersteigen geht es den Kuhlendahl hinunter, später die Gracht wieder hinauf. Eine Gedenkfeier findet dort statt, mit Reden von Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld und dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Jacques Marx. Kränze werden für die Opfer des Massenmords niedergelegt. Dann übernimmt Darko.
Der 20-Jährige hat sich mit dieser Station beschäftigt, hat Jacques Marx interviewt und berichtet jetzt, was er weiß. Zum Beispiel, dass ein jüdischer Friedhof früher nicht in deutschen Städten erlaubt war, sondern außerhalb eingerichtet werden musste. Diese Information hat ihn besonders bewegt: „Dass Menschen so ausgegrenzt wurden, sagt viel über das soziale Leben hier.”Auf einzelne Schicksale und besondere Gräber verweist er, etwa auf das der Familie Kaufmann, einst wichtige Lederfabrikanten an der Ruhr. „Ich habe viel Neues erfahren”, betont Darko.
Eben dieser etwas andere Blick auf die eigene Stadt und deren Geschichte war die Grundidee. Dabei lautete das Ausgangsthema „Zwangsarbeiter”. Dass es in Mülheim 25 000 gab, überraschte die Schüler und animierte sie, sich mehr mit der Situation von Juden in ihrer Heimatstadt zu beschäftigen. Im Stadtarchiv recherchierten sie, sprachen mit Fachleuten und Zeitzeugen. Lehrerin Christine Toulouse-Lingau war es, die gemeinsam mit Stadtarchiv-Leiter Dr. Kai Rawe die Idee hatte, die Geschichte(n) mit Orten zu verbinden und zu einem Stadtrundgang zu machen.
Hoffnung auf eine zweite Route
Das Amtsgericht, der Synagogenplatz, die Drehscheibe vor dem Ringlokschuppen, das Luisental, der alte Friedhof, die Luisenschule sind weitere Stationen, zudem das heutige Depot der MVG – früher war dort ein „Reichsausbesserungslager”. Bei der Premiere halten Abiturienten an allen Stopps einen kurzen Vortrag, berichten von Gesetzen im Dritten Reich, von der Feuerwehr, die die Synagoge in Brand steckte und vielen anderen historischen Fakten. Alle Informationen werden in einer Broschüre zusammengefasst. Diese soll – professionell gedruckt – anderen Schülergruppen die Möglichkeit geben, den Stadtrundgang zu machen. „Route 1” hat ihn Christine Toulouse-Lingau genannt – in der Hoffnung, dass eine zweite Route folgt.