Oskar Lafontaine tritt aufgrund seiner Krebserkrankung künftig kürzer, Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, musste sich am Montagabend zur Beobachtung in ein Krankenhaus begeben. Können die Belastungen im Politik-Betrieb krank machen?
Der Job, sagt die langjährige FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach, sei generell deutlich aufwendiger geworden als noch vor zehn Jahren. Und mit der Verantwortung stiegen die Belastungen. Auch das spürt Ulrike Flach, die stellvertretende Fraktionschefin ist und zugleich als gesundheitpolitische Sprecherin eine der brisantesten Politfelder beackert. „In so einer Position können Sie sich Krankheit nicht mehr leisten. Wenn andere daheim bleiben, müssen Sie mit dem Kopf unterm Arm antreten.”
Am meisten belaste jedoch der psychische Druck, ausgelöst vor allem durch die geballte Medienmacht. „Mit dem Gang nach Berlin ist der Bundestag zugleich in eine der dichtesten Medienlandschaften umgezogen, zehnmal stärker als in Bonn.” Das heißt: ständig unter Kontrolle, ad hoc überfallen zu werden.
„Politik ist ein sehr ungeregelter Job”, sagt Barbara Steffens, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag und gesundheitspolitische Sprecherin. Ungewöhnlich lange Arbeitszeiten, lange Sitzungen kennen alle Politiker, auf Bundesebene kämen oft noch lange Flugreisen dazu. Häufig müsse man schnell entscheiden, und: „Es sind ja Entscheidungen, die gravierende Auswirkungen haben können, das macht es auch emotional nicht leicht.” Und mal ein paar Tage ausfallen, etwa wegen einer Grippe? „Das”, sagt die Mülheimerin, „geht eigentlich gar nicht.”
Ohne Zweifel gebe es hohe Belastungen im Politik-Betrieb, wenn man seinen Beruf ernst nehme, sagt Anton Schaaf, MdB, im Ausschuss für Arbeit und Soziales für Rentenpolitik zuständig. Aber das sei, betont der SPD-Abgeordnete, in anderen Berufen nicht anders. Etwa im Management oder bei einer Krankenschwester – „ich würde mir keinen Sonderstatus erlauben wollen”, so der gelernte Maurer. Viele Arbeitnehmer gingen aus Angst, ihren Job zu verlieren, krank zur Arbeit. Können sich Abgeordnete leisten, mal krank zu werden? „Wir müssen uns ja nicht beim Arbeitgeber abmelden.” Aber bei der Fraktion. Termine müssten abgesagt werden - „da hängt ja immer so viel dran.” Bei knappen Mehrheiten seien Abgeordnete auch schon krank zur Abstimmung gekommen.
Die meisten Abgeordneten haben eine sehr hohe Stundenbelastung am Tag, sagt Andreas Schmidt (CDU), der fast 20 Jahre dem Bundestag angehörte und dem Deutschen Rechtsausschuss vorsaß. Das sei immer mehr geworden, und der Druck auf die Abgeordneten vor allem durch Einzelinteressen habe sehr zugenommen. „Wer nicht Nein sagen kann, hat es schwer.”
Doch wer die Aufgabe gerne mache, erlebe den Stress auch positiv. Um gesund zu bleiben, hält Schmidt überall Rückzugsräume für unerlässlich. „Man muss regelmäßig aus der Tretmühle raus. Ein Tag ohne Politik geht auch.” Wer das nicht mache, habe Probleme.