Mülheim. Anlagen für Korrosionsschutz entstehen in Mülheim-Heißen - an der Firmenspitze: ein Mutter-Tochter-Duo. Was Heike und Nadja Kiess anders machen.
Hier dürften Handwerkerherzen höher schlagen: eine Maschinenhalle, reichlich gefüllt mit Kesseln in verschiedenen Größen, allerlei blau lackierten Rohrverbindungen, in der hinteren Ecke ein abgeteiltes Areal, versehen mit metallenen Schläuchen und verschiedenen Eingängen. Und mittendrin: zwei blonde, langhaarige Frauen, bei denen die Fäden der Firma zusammenlaufen. Hoch spezialisierter Maschinenbau findet hier im äußersten Winkel des Gewerbegebietes Heißen-Ost statt - bei der Firma Kiess, die jetzt ihr 50-jähriges Bestehen feiert.
Dass die Chefetage des Familienbetriebs weiblich wird, gefiel dem Gründer ursprünglich nicht. „Heute wäre mein Vater aber sicher stolz auf uns“, bekräftigt Heike Kiess. Gleichwohl sagt die 61-Jährige: „Ich musste schon dafür kämpfen, in der Firma ernst genommen zu werden.“ Dass auch ihre Tochter den Weg in die männerdominierte Branche, in der mitunter ein rauer Umgangston herrsche, nach einem Ausflug in die Modewelt gegangen ist, erfüllt sie selbst mit Stolz. Denn ohne auf Klischees herumreiten zu wollen - das hier sieht nach Männersache aus: Anlagen zum Strahlen, Fördern, Entstauben und Beschichten stellt die Kiess GmbH her.
Herzstück der Mülheimer Kiess GmbH wird seit 50 Jahren produziert
Heike Kiess war elf Jahre alt, als ihr Vater vor 50 Jahren die Firma gründete. Der Betrieb war ihr zweites Zuhause: „Ich bin hier aufgewachsen.“ Sie deutet auf Strahlkessel, die aufgereiht in unterschiedlichen Größen in der großen Halle stehen, und sagt: „Das ist unser Herzstück.“ Damit hat ihr Vater vor einem halben Jahrhundert den Grundstein für den Betrieb gelegt, der mit drei Beschäftigten auf 20 Quadratmetern anfing. Heute hat das Unternehmen etwa 20 Mitarbeitende und zieht für Aufträge, die nicht selten weltweit auszuführen sind, zeitweise Personal hinzu.
Werften zählen zu den Kunden, genauso wie Bahnunternehmen und stahlverarbeitende Betriebe. „Wenn Sie wegen Bauarbeiten auf der Autobahn im Stau stehen, kann es gut sein, dass eine unserer Anlagen Schuld ist, weil gerade ein Brückenpfeiler neuen Korrosionsschutz erhält“, nennt Heike Kiess augenzwinkernd ein Beispiel. Ein anderes ist die Windenergie: „In Norddeutschland werden immer mehr Flächen von Werften, wo zuvor Schiffe gebaut wurden, heute für die Herstellung von Windrädern genutzt. Die Teile dafür werden dann mit unseren Anlagen bestrahlt und beschichtet. Gerade, wenn die Windräder offshore stehen, haben sie wegen des Salzwassers ganz spezielle Anforderungen an die Beschichtung.“
Geschäft mit Russland liegt brach - keine Aufträge mehr für Mülheimer Mittelständler
Neben der Deutschen Bahn war auch die Moskauer Metro ein gewichtiger Kunde des Mülheimer Mittelständlers. „Dort hatten wir kurz vor der Pandemie einen großen Auftrag und haben für die Metro in Moskau eine Strahlhalle gebaut, in die die Wagons hineinfahren können.“ Doch das Geschäft mit Russland liege wegen des Krieges in der Ukraine komplett brach und „es wird so schnell nicht zurückkommen“, schätzt Heike Kiess. Auch in der Ukraine stünden Kiess-Anlagen. „Vieles davon ist wohl nun kaputt“, fürchtet die Geschäftsführerin.
Gerade hat das Mülheimer Unternehmen einen Auftrag in Ägypten abgewickelt. Die angehende Firmenchefin Nadja Kiess berichtet begeistert davon: „Dort haben wir eine Saughalle installiert: Das funktioniert wie ein großer Staubsauger für Strahlmittel.“ Die Lösungen seien individuell, würden auf den jeweiligen Kunden zugeschnitten. Dass ihr Angebot nicht von der Stange ist, kennt die Firmen-Nachfolgerin bereits aus der Modewelt. Denn bevor sie letztendlich in den Familienbetrieb eingestiegen ist, hat Nadja Kiess nach dem Abitur - mit der bemerkenswerten Leistungskurs-Kombi Mathe und Kunst - zunächst Modedesign studiert und ihr eigenes Label gegründet. Schließlich aber setzte sich ihre Liebe zu Zahlen durch und sie schloss das Studium Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau an - natürlich an der Mülheimer HRW. Die Wahl der Hochschule stand für Kiess außer Frage, denn die Firma gehört von der ersten Stunde zum Förderverein der Hochschule, wie Heike Kiess erzählt, die froh ist, ihrer Tochter die Möglichkeit geboten zu haben, eigene Erfahrungen zu machen.
Mülheimer Geschäftsfrauen wissen, was Selbstständigleit bedeutet
Auch sie selbst hatte damals zunächst einen anderen Weg eingeschlagen und Jura studiert. „Das war eher etwas für Mädchen“, blickt die heutige Geschäftsführerin zurück. „Denn mein Vater fand es erst gar nicht gut, dass ich als Frau im Betrieb dabei war, in der Werkstatt mitgearbeitet habe und mit meinen langen Haaren im Öltank rumgekrochen bin.“ Ihrer Tochter habe sie daher Freiheiten lassen wollen. Denn als Selbstständige weiß Heike Kiess nur zu gut: „Die Firma ist immer Thema, auch wenn wir abends gemütlich beim Italiener sitzen.“
Auch Nadja Kiess kennt diese innere Verpflichtung längst: „Selbst im Urlaub spielt der Betrieb eine Rolle - da muss man lernen, etwas Abstand zu bekommen.“ Ein Glück, dass auch ihr Partner, den sie im Studium kennengelernt hat, mittlerweile im Unternehmen mitarbeitet. Heike Kiess muss darüber schmunzeln, denn: „Geschichte wiederholt sich: Auch mein Mann und ich arbeiten zusammen in der Firma - mein Vater hatte ihn damals eingestellt und somit gut für mich gesorgt.“
Dass Mutter und Tochter heute Kolleginnen sind und in der Führungsetage eng zusammenarbeiten, ist für beide logische Konsequenz und funktionierendes Miteinander zugleich. Bedenken, dass es mit der Mama als Chefin schwierig werden könnte, hat Nadja Kies nicht, im Gegenteil: „Sie hat Lust, mir das Wissen weiterzugeben. Ich werde sie immer weiter fragen können, auch wenn sie sich irgendwann aus dem operativen Geschäft zurückzieht.“ Und Heike Kiess weiß genau, wie sie sich die berufliche Zukunft für ihre Tochter wünscht: „Sie soll nicht dafür kämpfen müssen, so wie ich es lange musste.“
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