Ein Institut der Uni Bochum untersucht das Freizeitverhalten der Erstklässler. Ergebnis: Wer sich bewegt, ist einfach besser. Ein Jahr können sie künftig kostenlos Sport treiben. Über 20 Vereine in Mülheim machen mit.
Sport macht schlau, und weil das jetzt auch noch mit Zahlen in Mülheim untermauert wird, gibt's Gutscheine – für Sportvereine. Alle etwa 1300 künftigen Schulanfänger, die jetzt vom Gesundheitsamt untersucht werden, erhalten so einen Gutschein, der ihnen ein Jahr lang kostenloses Rennen, Schwimmen, Dribbeln oder was auch immer ermöglicht. „Modellprojekt” nennt es die Stadt Mülheim, die mit dem Sportbund die Idee entwickelt hat. „Wenn's gut läuft”, sagt der Sozialwissenschaftler Volker Kersting vom Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung an der Uni Bochum (Zefir), „könnten auf diese Weise viele Entwicklungs-probleme verhindert werden.”
Die Einschulungsuntersuchungen für die Erstklässler ergeben seit Jahren ein erschreckendes Bild: zu dick, zu unbeweglich, aber auch sprachlich schwach und verhaltensauffällig. Die Medizinerin Nicole Lobeck-Chenard vom Gesundheitsamt sieht in dem Projekt gute Chancen, all diese Defizite rechtzeitig zu beheben. Bewegung und Intelligenz liegen für sie eng beieinander.
Zwei Stunden täglich am Computer
Ein Umstand, den auch Kersting nachweisen konnte. Die Kinder wurden nicht nur gewogen und gemessen bei der Untersuchung, sondern auch auf ihre Grob- und Feinmotorik getestet – und es wurde danach gefragt: Was machst Du in Deiner Freizeit? Die einen machen Sport, ein wachsender Teil aber verbringt täglich mehr als zwei Stunden vor elektronischen Medien: Fernseher oder Computer.
Kinder, die mindestens einmal wöchentlich Sport treiben, zeigen deutlich weniger Verhaltensauffälligkeiten, haben deutlich weniger Koordinationsprobleme. Andererseits gibt es bei Kindern, die mehr als zwei Stunden am Tag vor elektronischen Medien sitzen, deutlich mehr Sprachauffälligkeiten, ebenso verhält es sich mit dem Übergewicht. Und noch eines war auffällig: Je niedriger der Bildungshintergrund der Eltern, desto seltener besuchen die Kinder einen Sportverein, desto größer ist zugleich aber ihr elektronischer Medienkonsum. „Kein Kind lernt vor einem Fernseher Sprache”, sagt Nicole Lobeck-Chenard. Im Verein dagegen lerne es in der Gruppe, lerne zuzuhören, zu erklären, sich einzuordnen, es lerne Gruppen- und soziales Verhalten.
Die Untersuchungen, so Kersting, haben eindeutig gezeigt, dass Sport „hochwirsam” auch bei kognitiven und sozialen Fähigkeiten ist. „An der Bildungsferne von Elternhäusern kann eine Stadt nichts machen, aber das Sportverhalten der Kinder kann sie schon beeinflussen”, so der Soziologe.
Über 20 Sportvereine machen mit
Über 20 Sportvereine haben sich spontan bereit erklärt, bei dem Projekt mitzumachen. „Es werden fast täglich mehr”, sagt der Koordinator beim Sportbund, Jörg Jaeckel. 22 Sportarten sind derzeit im Angebot und per Gutschein zu buchen, darunter Leichtathletik, Schwimmen, Fußball, Turnen, viele Bewegungsspiele. Die Vereine, so Jaeckel, sehen hier zudem die Chance, Nachwuchs zu gewinnen.
Ganz umsonst müssen sie das Angebot nicht unterbreiten: Die Leonhard-Stinnes-Stiftung fördert das Programm, so dass die Vereine pro Schüler und Halbjahr 45 Euro erhalten werden. Zunächst auf zwei Jahre ist das Projekt ausgelegt. Vor allem in sozial benachteiligten Stadtteilen, da sind sich die Beteiligten vom Sport und Gesundheitsamt einig, könnten die größten Erfolge erzielt werden. „Deshalb werden wir dort Vereinslotsen einsetzen”, sagt Jaeckel. Dahinter verbergen sich Leute, die die Kinder auch mal zum Sport begleiten, vielleicht bei Sprachproblemen helfen oder auch noch mal kräftig werben – für den Sportgutschein.