Mülheim. In St. Michael in Speldorf sind 18 Menschen aus Stara Huta zu Gast. Lehrer spricht über das harte Leben im Krieg und dankt für Hilfe aus Mülheim.

18 Menschen aus dem südwestukrainischen Stara Huta sind zurzeit Gast in der Kirchengemeinde Speldorf. Zuletzt waren Gemeindemitglieder aus St. Michael 2019 in Stara Huta, um die 2005 beim katholischen Weltjugendtag in Köln geknüpften Freundschaftsbande zu bekräftigen. Mit Unterstützung der Übersetzerin Alexandra Knappik erklärt der 52-jährige Lehrer und Familienvater Tomasz Kaluski aus der 900-Seelen-Gemeinde, wie die Gäste aus der Bukowina den russischen Angriffskrieg auf ihr Land erleben und was ihnen die Freundschaft mit Menschen aus St. Michael bedeutet.

In Ihrem Land herrscht Krieg. Was bedeutet Ihnen vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit und die Begegnung mit den Menschen aus St. Michael?

Kaluski: Als der Krieg 2022 begann, haben wir eine große Hilfe aus St. Michael erfahren. Viele Gemeindemitglieder haben uns Pakete mit Lebensmitteln, Medikamenten, Hygieneartikeln und Verbandsmaterial geschickt. Aber auch den Ausbau unseres Wasserversorgungsnetzes hätten wir ohne das Geld aus St. Michael nicht bewerkstelligen können.

Mussten Sie in Ihrer Gemeinde Kriegsflüchtlinge aufnehmen?

2022 kamen etwas mehr als 100 Menschen aus den bombardierten Gebieten zu uns. Sie wurden in der Schule und bei Familien untergebracht. Wir haben bei uns zu Hause eine vierköpfige Familie aus Kiew aufgenommen. Ohne die Verbindung mit St. Michael hätten wir die Hilfe für die Flüchtlinge, von denen die meisten inzwischen wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind, nicht leisten können.

Ihre Gemeinde im Südwesten der Ukraine ist kein Frontgebiet, ist aber auch vom Krieg betroffen. Wie wirkt sich der russische Angriffskrieg auf Ihren Alltag aus?

Materiell bekommen nicht nur wir in der Ukraine, sondern alle Menschen in der Welt die Folgen des Krieges zu spüren. Aber für uns hat der Krieg schon 2014 mit der russischen Besetzung der Krim begonnen. Er ist für uns allgegenwärtig. Das ist psychisch sehr belastend und aufreibend. Trotzdem muss das normale Leben weitergehen. Sie haben eben weinende Frauen gesehen, deren Männer und Brüder an der Front sind. Zurzeit sind elf Männer aus unserem Dorf an der Front. Einer von ihnen ist verletzt worden. Aber Tote hatten wir Gott sei Dank noch nicht zu beklagen. Die Familien halten mit ihren Männern an der Front via Whatsapp Kontakt. Aber im Kampf müssen sie ihre Smartphones ausschalten, damit sie die russische Armee nicht orten kann. Wir schicken auch Pakete an die Front. Viele Kinder malen Bilder für ihre Väter an der Front.

Tomasz Kaluski, Lehrer und Familienvater aus Stara Huta.
Tomasz Kaluski, Lehrer und Familienvater aus Stara Huta. © Thomas Emons

Wurde Ihre Gemeinde schon von russischen Raketen getroffen?

Nein. Aber die am Schwarzen Meer abgeschossenen Raketen fliegen auch über unsere Region. In Lemberg und Iwano Frankiwsk, etwa 150 Kilometer westlich von uns, sind schon Raketen eingeschlagen und Menschen zu Tode gekommen. Viele russische Raketen werden aber von unserer Armee abgeschossen. Wenn sie im Anflug sind, werden wir von einer Warn-App aufgefordert, uns in Sicherheit zu bringen.

Wo bringen Sie sich in Sicherheit?

Wir haben den Keller unserer Schule und den Keller unseres Bürgerhauses zu Luftschutzräumen ausgebaut.

Ukrainischer Luftraum gesperrt: Mit dem Flieger aus Rumänien

Schon bevor 2005 die ersten Weltjugendtagsgäste aus Stara Huta nach St. Michael kamen, kannten sich der Caritas-Freiwillige Tomasz Kaluski und die damals noch für Caritas International arbeitende Christa Fölting aus St. Michael durch die Begegnung bei einer Caritas-Konferenz in Brüssel in den 90er Jahren.

Vor dem Krieg gab es eine direkte Flugverbindung zwischen Lemberg und Dortmund. Seit Kriegsbeginn können die Menschen aus Stara Huta nur von Rumänien aus das Ruhrgebiet anfliegen, weil der ukrainische Flugraum gesperrt ist. Rumänien, dessen Grenze zehn Kilometer von Stara Huta entfernt ist, erreichen sie per Bus.

Wie informieren Sie sich über den Krieg?

Wir haben zu Hause kein Fernsehen. Andere Nachbarn haben aber Fernsehen. Meine Frau und ich informieren uns mit unseren Smartphones via Internet und Social Media. Unsere wichtigste Informationsquelle ist die Nachrichten-App des ukrainischen Präsidenten Viber. Dort wird auch regelmäßig über die Hilfe in und aus Deutschland oder über die Treffen und Gespräche zwischen Kanzler Scholz und Präsident Selenskyj berichtet. Zu Kriegsbeginn haben wir fast ständig in unsere Smartphones geschaut. Aber das war nicht gut. Man entwickelt eine Paranoia und das Leben unserer Familie muss ja weitergehen.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft?

Dazu kann ich im Moment nichts sagen, nur so viel: Das Leben muss weitergehen. Ich versuche, positiv zu denken und vielleicht bekomme ich auch Kraft von oben. Ich hoffe, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt und dass am Ende alles gut wird. Ich bin enttäuscht, dass sich das russische Volk nicht gegen den Krieg gestellt hat. Aber ich danke den Deutschen, dass sie uns helfen. Und ich hoffe, dass sie das auch weiterhin tun werden.

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