Als „verbraucherfreundlich” darf sich das städtische Seniorenheim Haus Gracht ab sofort offiziell bezeichnen. Was die Verantwortlichen natürlich gerne und vernehmlich tun.
Grundlage ist eine Prüfung durch die Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter und bei Behinderung e.V. (BIVA), die am Montag erfolgte und offenbar erfreulich verlief.
Die BIVA bezeichnet sich als „unabhängiger Selbsthilfeverband” und als „einzige bundesweite Interessenvertretung” ihrer Art. Sie erstellt ein Heimverzeichnis, bei dem nicht nur die Leistungen aller Einrichtungen transparent gemacht werden sollen, sondern vor allem die Lebensqualität, die sie bieten: wie die Bewohner ihren Alltag erleben und mitwirken können. Untersucht werden, mit etlichen Unterpunkten: „Teilhabe”, „Autonomie”, „Menschenwürde”.
Das Projekt wird vom Bundesministerium für Verbraucherschutz finanziell gefördert Die Einrichtungen, wie nun Haus Gracht, melden sich freiwillig bei der BIVA an und werden – so eine Mitarbeiterin des Verbandes – von speziell geschulten, aber ehrenamtlichen Gutachtern gecheckt.
Kein Überraschungsbesuch
Diese machen – im Gegensatz zum Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) – keine Überraschungsbesuche, sondern kommen nach Terminabsprache. Anmeldung sei auch nötig, meint Wojciech Brzeska, Sprecher der Mülheimer Sozialholding GmbH, die das Haus Gracht mit insgesamt 190 Plätzen betreibt. „Denn es muss ja gewährleistet sein, dass der Heimbeirat und die Pflegedienstleitung für Gespräche zur Verfügung stehen.” Der Gutachter blieb einen ganzen Tag, aß auch gemeinsam mit den Bewohner/innen zu Mittag und besichtigte das Haus.
„Verbraucherfreundlich” nach BIVA-Maßstäben ist ein Heim, in dem mindestens 80 Prozent von insgesamt 121 Fragen positiv beantwortet werden. Die Detailergebnisse zum Haus Gracht kann unter www.heimverzeichnis.de jedermann nachlesen. Hier finden sich zahlreiche grüne Häkchen, etwa zu diesen Punkten: individuelle Weck- und Zubettgehzeiten, Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung von Gemeinschaftsräumen, Verbindungen zum örtlichen Gemeinschaftsleben, tagesaktuelle Information, freundlicher Umgangston des Personals oder beispielsweise auch die Möglichkeit, sexuelle Aktivitäten und Beziehungen zu leben.
Individuelle Weckzeiten
Insgesamt, so teilt die Sozialholding mit, habe man 92-prozentige Verbraucherfreundlichkeit im Bereich Autonomie erreicht, 95 Prozent bei der Teilhabe und 94 Prozent in Fragen der Menschenwürde. Woran fehlt es noch? Brzeska nennt ein Beispiel: Feste Sprechstunden des Bewohnerbeirats hielt man bisher nicht für nötig, da dessen sechs Mitglieder ständig persönlich erreichbar seien. Nun will man fixe Termine festlegen und am Schwarzen Brett ankündigen.
„Wir betrachten die Begutachtung durch die BIVA als gute Ergänzung zur Prüfung durch den MDK”, erklärt Brzeska. Und so steht bereits ein zweites städtisches Seniorenheim in der Warteschleife: Haus Auf dem Bruch soll Anfang Februar Besuch bekommen. Bei der dritten Einrichtung, Haus Kuhlendahl, wartet man dagegen, bis alle Modernisierungsarbeiten abgeschlossen sind. „Schätzungsweise Ende 2011, Anfang 2012 werden wir so weit sein.”
"www.pflegelotse.de" hilft bei der Orientierung
Alle Senioreneinrichtungen, die von den Pflegekassen zugelassen sind, werden mindestens einmal im Jahr durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) überprüft. Dabei stehen Pflege, Betreuung, medizinische Behandlung und Hygiene im Vordergrund, aber auch Unterkunft, Verpflegung, soziale Betreuung und Aktivierung werden begutachtet. Um bestimmte Standards einzuhalten, ist jedes Heim per Gesetz zu Qualitätssicherung und -management verpflichtet.
Darüber hinaus kann man diverse weitere Zertifikate aus unterschiedlicher Hand erwerben, ähnlich wie auch bei Krankenhäusern oder Kindertagesstätten. „Doch diese gehen von verschiedenen Standards aus”, bemerkt Stadt-Pressesprecher Volker Wiebels, „die jeweils selbst gesetzt wurden.”
Die einzige wirklich objektive, vergleichbare Zertifizierung von Einrichtungen findet sich – aus Sicht städtischer Experten – unter der Internetadresse www.pflegelotse de. Es ist ein Angebot des Verbandes der Ersatzkassen (vdek). Wer auf diesem Wege stationäre Pflegeeinrichtungen in Mülheim an der Ruhr sucht, erhält eine Übersicht von insgesamt zehn Angeboten unterschiedlicher Träger. Für drei davon liegt ein ausführlicher Transparenz- und Qualitätsbericht vor – die städtischen Heime sind allerdings nicht darunter.
Noch nicht: „Haus Auf dem Bruch wird gerade durchleuchtet”, ergänzt Wiebels, „aber Ergebnisse stehen noch nicht fest.”