Mülheim. Am Wochenende feuerten Polizisten an einem Flüchtlingsheim drei Schüsse auf einen Mülheimer (28) ab. Bewohner und Nachbarn sind noch geschockt.
Auf allen Vieren, in der Hocke, mindestens aber mit gesenktem Blick bewegen sich die Mitarbeitenden der Polizei über den Weg zwischen den Häusern 2 und 3.2 der Flüchtlingsunterkunft am Klöttschen. Hier ist es in der Nacht zu Samstag zu einer Auseinandersetzung zwischen einem 28-Jährigen und der Polizei gekommen – nach Mitternacht fielen drei Schüsse.
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„Die suchen nach den Projektilen“, sagt ein Nachbar, der mit seinem Hund an der Leine aus dem Haus mit der Nummer 19 tritt – direkt gegenüber der Unterkunft gelegen. Angesprochen auf die Ereignisse der Samstagnacht kommt er ins Erzählen. „Zuerst fing alles mit Blaulicht-Geflacker an, dann bin ich ans Fenster“, erzählt der sportlich gekleidete Mann. Er möchte anonym bleiben.
Mülheimer Anwohner: „Wer geschossen hat, kann ich nicht sagen“
„Ich habe gehört, wie die Polizisten ganz oft ‘Waffe weg!’ gerufen haben. Der Typ hatte in der einen Hand ein Messer und in der anderen eine abgebrochene Bierflasche.“ Gefilmt habe der Anwohner die Geschehnisse nicht und aus Sicherheit auch das Fenster zugelassen, „man weiß ja nie“, sagt er. „Und dann gab’s die Schüsse, alle hintereinander weg. Drei, glaube ich. Wer genau geschossen hat, kann ich nicht sagen“, so der Anwohner.
Die Duisburger Staatsanwaltschaft und die Bochumer Polizei, die aus Neutralitätsgründen die Ermittlungen aufgenommen hat, bestätigt am Montag in einer schriftlichen Mitteilung, dass drei Schüsse gefallen sind. Wie viele Beamte geschossen haben, werde indes aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgegeben.
Mülheimer (28) soll bereits polizeibekannt und psychisch labil sein
Zu den Personalien des Mannes machen die Behörden hingegen mittlerweile Angaben: Demnach handelt es sich um einen 28-jährigen Mülheimer, der als polizeibekannt und psychisch labil gilt. Wie Staatsanwaltschaft und Polizei mitteilen, soll der Mann in der jüngeren Vergangenheit bereits versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Die Ermittlungen deuteten darauf hin, dass er eigenständig den Notruf bezüglich der angeblichen Messerstecherei am Bahnhof getätigt hat und so die Beamten zum Bahnhof geführt hat. Von dort flüchtete der Tatverdächtige zu Fuß – gefolgt von der Polizei – zur Flüchtlingsunterkunft am Klöttschen, wo schließlich die Schüsse fielen.
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Nach einer Not-OP sei der Zustand des 28-Jährigen besser als noch am Wochenende, dennoch bestehe weiterhin Lebensgefahr. Wo der Mann von den drei Kugeln getroffen worden ist, ist nicht bekannt. Zeugen berichten übereinstimmend von einer blutenden Wunde am Bein. „Nach den Schüssen ist er im Schotter zusammengesackt, ich dachte erst, er ist tot“, schildert der Nachbar aus der Hausnummer 19. „Aber dann wollte er sich plötzlich aufrichten, die Polizei hat ihn mit Schildern weggedrückt.“ Nachdem sich die unmittelbare Gefahr gelegt hatte, sei der Mann zu einem Krankenwagen geleitet worden. „Da wirkte er wieder quietschfidel“, sagt der Anwohner.
Mülheimer Unterkunft wird 24 Stunden am Tag betreut
Hinter den Zäunen, die die hölzernen Hütten und ihre derzeit 89 Bewohnerinnen und Bewohner umgeben, spielen Kinder, sausen zwischen den Häuserreihen auf Rollern und einem Laufrad auf und ab. Vor einem Haus ganz am Rande der Anlage hängt ein junger Mann Wäsche auf. „Ja, ich habe mitbekommen, was passiert ist“, sagt er. Seinen Namen will er nicht nennen, aber die Rufe hätten ihn und seine Familie aus dem Schlaf gerissen. „Wir sind nicht rausgegangen, die Kinder hatten Angst.“ Vielleicht war es nur Pech, dass der Mann ausgerechnet hier gelandet sei – „ich weiß es nicht“, sagt der Bewohner. „Aber es war keiner von hier.“
Das bestätigt auch die Stadt auf Nachfrage. Die Unterkunft in Eppinghofen wird von der Stadt betrieben, die PIA (Paritätischen Initiative für Arbeit) bestreitet gemeinsam mit städtischen Mitarbeitern den permanenten Präsenzdienst an der Unterkunft. „Von 16 bis 8 Uhr sind unsere Leute zuständig“, erklärt Frank Schellberg, Geschäftsführer der Pia-Stadtdienste gGmbH. „Aber da geht es eher darum, bei Bedarf für die Anwohner ansprechbar zu sein und nicht um einen Sicherheitsdienst.“
Die Frage nach dem Motiv des 28-Jährigen bleibt zunächst ungeklärt, die Ermittlungen dauern noch an. Ein Tatvorwurf gegen den Mülheimer ist bislang nicht formuliert, „wir sammeln noch Erkenntnisse“, so Polizeisprecher Marco Bischoff. „Erst dann können wir sagen, was zu Lasten gelegt wird.“ Gegenstand der Ermittlungen werden auch die Schüsse der Polizei und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit sein. „Jeder Schusswaffengebrauch ist einer zu viel, aber so eine Situation ist höchst belastend.“