Mülheim. Norman von der Weydt ist seit Geburt blind. In Mülheim kocht er im „Mölleckens Altes Zollhaus“. Wir haben den 28-Jährigen bei der Arbeit besucht.
Auch wenn „Mölleckens Altes Zollhaus“ zu Mülheims beliebtesten und traditionsreichsten Lokalen zählt – spurlos ist die Corona-Pandemie an dem alteingesessenen Hotel-Restaurant nicht vorbeigegangen. Nach den Lockdowns war vor dem Personalmangel. „Viele Fachkräfte sind in andere Bereiche abgewandert“, sagt Inhaber und Chefkoch Thomas Möllecken (62). Und so war die Suche nach einem neuen Koch im Frühjahr keine einfache, erinnert sich Möllecken zurück. „Meine Frau sagte: ‘Da ist eine gute Bewerbung reingekommen, mit einem großen Aber. Der Mann ist blind.’“
Allem Aber zum Trotz – der erfahrene Gastronom lädt Norman von der Weydt zum Bewerbungsgespräch ein, es folgen zwei Tage Probearbeit. „Er hat sich sehr gut geschlagen“, sagt Thomas Möllecken. Das Schnibbeln und Schneiden, eine der größten Sorgen des Küchenchefs, entpuppt sich als eine der größten Stärken des Probearbeiters. „Ich habe in einer Großküche gelernt und kenne Zeitdruck sehr gut“, erklärt Norman von der Weydt. Akkurat und präzise zu arbeiten, kennt der 28-Jährige gut – auch wenn seine körperlichen Voraussetzungen dafür nicht die besten sind.
Mülheimer Restaurant kocht mit drei Mann, einer davon ist blind
Durch einen Gendefekt sieht er etwa einen Zentimeter weit, alles darüber hinaus verschwimmt zu „Umrissen und Schatten, die ich noch sehe“. Beim Anrichten geht der Duisburger – natürlich mit einer Maske – besonders nah an die Teller heran. Im „Alten Zollhaus“ ist er für Desserts und Salate zuständig. In der Küche mit dem grau gefliesten Boden und dem stählernen Inventar bewegt sich der Duisburger wendig und flink. Wüsste man es nicht, würde man ihm seine Blindheit – Achtung, Wortwitz – nicht ansehen. „Tatsächlich habe ich die Schritte abgezählt“, sagt von der Weydt.
Die Strecken vom Kühlhaus zu seinem Platz zurück kennt er mittlerweile auswendig, ebenso jede Stufe im „Mölleckens“. Zwei Wochen hat es gedauert, ehe Norman von der Weydr sich frei im Restaurant bewegen konnte und alle Wege kannte. „Klar, manche Dinge dauern etwas länger“, räumt Chef Thomas Möllecken ein. „Gerade am Anfang war das noch so.“ Von der Weydts Arbeitsplatz unterscheidet sich nicht merklich von dem seiner beiden Kollegen. Die Messer sind scharf, das Blatt der Schneidemaschine ist schnell. Einzig eine Schneidebretterhöhung soll bald das Equipment des Duisburgers erweitern: „Damit schone ich meinen Rücken.“ Kostenpunkt: 7000 Euro, vom Jobcenter gestellt. Eine schnittfeste Weste und schnittfeste Handschuhe hätte Norman von der Weydt auch gerne, „aber die Anträge zu stellen, ist sehr aufwendig.“
Immer mal wieder kommt es auch zu Missgeschicken, „aber nicht mehr, als mir auch passieren“, sagt Thomas Möllecken. Zum Beispiel ist neulich das Küchentuch angesengt. „Das kennt aber jeder Koch, wirklich“, beteuert der Chef. Mit etwas Geduld und der Zeit kam auch die Routine. Und alle anderen Qualitäten waren eben schon da: „Norman bringt Ehrgeiz mit, das sieht man heute nicht mehr so häufig“, so Möllecken. „Er packt die Dinge etwas anders an, ist nicht so 0815.“
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Mülheimer Küchenchef erhielt Rückerstattung für die Probezeit
Schöne Worte der Anerkennung für Norman von der Weydt. Dass er sich aber mal so wohl fühlen würde in einem Team, schien für den 28-Jährigen bis vor einigen Monaten noch unrealistisch. „Auf dem Arbeitsmarkt war es für mich nicht einfach“, erklärt er. Mithilfe einer Life-Coach hatte er sich im Frühjahr auf die Stelle in Mülheim beworben, „weil ich damals keinen Laptop mit Braille-Zeile hatte“. Dass er in einem für einen blinden Menschen doch recht ungewöhnlichen Job arbeitet, sieht von der Weydt nur bedingt ein. „Wieso sollte ich das nicht machen“, fragt er und macht damit einen Punkt. „Ich bin da von Haus aus vorgeschädigt“, erzählt er und meint damit nicht seine Sehbehinderung. „Mein Vater war Koch und Metzger, meine Mutter Hotelfachfrau und Köchin. Ich kenne den Beruf von Klein auf.“
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Als Arbeitgeber hat Thomas Möllecken das Gehalt der drei Monate Probezeit für von der Weydt vom Staat rückwirkend erstattet bekommen – eine gute Lösung, finden Chef und Angestellter. „So kann man dem Ganzen eine realistische Chance geben und sehen, ob es passt“, sagt Norman von der Weydt. „Aber so einen ruhigen Ton wie hier habe ich in noch keiner Küche erlebt.“ Thomas Möllecken lächelt ob des Lobes – und obwohl Norman von der Weydt das nicht sieht, lächelt er auch.