Mülheim. Geht es weiter mit der Mülheimer Ausstellung an der Realschule Stadtmitte? Eine Stellungnahme der Bezirksregierung wirft weitere Fragen auf.
Eigentlich hätte die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ über die Verfolgung von politisch Andersdenkenden durch das Naziregime an der Realschule Stadtmitte am Donnerstag starten sollen. Aufgebaut sind die Tafeln der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) dort weiterhin. Fünf Führungen waren geplant. Doch die Schulleitung hatte kurzfristig die stellvertretende VVN-Kreisvorsitzende und Referentin Inge Ketzer wegen ihrer DKP-Parteizugehörigkeit ausgeladen unter Berufung auf den „Schulfrieden“ und die Bezirksregierung. Der Vorgang wirft jedoch weitere Fragen auf.
Denn so stellt es die Schulleitung der Realschule, Sabine Dilbat, auch auf Anfrage der Redaktion da: „Der Besuch von Frau Ketzer führte innerhalb des Kollegiums zu Irritationen, die zu Unruhe führten. Die politische Vergangenheit von Frau Ketzer spielte hierbei eine Rolle. Als Schulleiterin bin ich für den Schulfrieden verantwortlich und habe mir deshalb Rat bei der Rechtsabteilung der Bezirksregierung Düsseldorf geholt. Die Bezirksregierung empfahl, auf den Einsatz von Frau Ketzer zu verzichten.“
Antwort aus Düsseldorf: Schulfrieden schon durch Debatte im Kollegium gestört
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Doch die Antwort aus Düsseldorf an die Redaktion macht deutlich, dass schon die Fragestellung der Schule wenig Spielraum für eine andere Beurteilung zuließ: „Nachdem die Schulleitung die Bezirksregierung über den Sachverhalt informiert und die Situation an der Schule geschildert hat, hat die Bezirksregierung im weiteren Austausch die Bedenken der Schulleitung bezüglich des Schulfriedens nachvollziehen können“, heißt es von dort. Die Teilnahme von Frau Ketzer sei „als bedenklich eingestuft worden, da durch die entfachten Diskussionen im Kollegium bereits der Schulfrieden gestört wurde“.
Um die vagen Formulierungen zu erläutern: Mit „Vergangenheit“ ist die Mitgliedschaft von Inge Ketzer in der DKP gemeint, einer Partei, die demokratisch gewählt werden kann, aber unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Als Grund der Beobachtung nennt dieser, dass die DKP eine „klassenlose kommunistische Gesellschaft anstrebt, in der alle wesentlichen gesellschaftlichen Gegensätze, insbesondere der zwischen Kapital und Arbeit, aufgehoben sein sollen. Individualgrundrechte haben in diesem Konzept nur noch eine stark eingeschränkte Bedeutung. Damit richtet sich die DKP gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“
Trotz „Irritation“ kein Gespräch mit Ketzer gesucht
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Doch kann schon die bloße Anwesenheit eines Mitglieds dieser Partei den Schulfrieden gefährden? Denn konkrete Anlässe, zu denen Ketzer während vergangener Ausstellungen an Schulen etwa Parteiparolen oder Ähnliches geäußert haben soll, kann die Schulleitung auf Anfrage nicht benennen. Und: Ein Gespräch mit Ketzer hatte trotz „Irritationen“ weder das Kollegium noch die Schulleitung gesucht – man ging direkt zur Bezirksregierung für eine „Beratung“. Sie habe aber jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung gestanden, antwortet die Schulleitung auf Anfrage, aber die zuvor ausgeladene Frau Ketzer habe sich nicht gemeldet.
Der Schulfrieden ist im Schulgesetz NRW nur an einer Stelle unter Paragraf 2, Absatz 8 vermerkt: Lehrende, Leitungen und Mitarbeitende „dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen Bekundungen abgeben, die die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden gefährden oder stören“.
Mülheimer Schulleitung betont: Keine Probleme mit den Inhalten der Ausstellung
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Doch Ketzer war nicht als politische Vertreterin, sondern als Führung durch eine inhaltlich offenbar unstrittige Ausstellung geplant. Und das nicht zum ersten Mal, sondern bereits bei unzähligen Aufführungen der Wanderausstellung an verschiedenen Schulen. Auch die Realschulleitung räumt ein: „Die inhaltliche Ausrichtung der Wanderausstellung und ihr Informationswert für die Schülerinnen und Schüler, die durch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Kreisvereinigung Mülheim an der Ruhr zur Verfügung gestellt werden sollte, wurde nicht in Frage gestellt.“
War der Schulfrieden also überhaupt anwendbar? Für den jungen DGB-Vorsitzenden und SPD-Stadtverordneten Filip Fischer, der seinerzeit auch als Schülervertreter engagiert war, wäre ein Aus für die Ausstellung der VVN „ein schwerer Schlag für die wichtige Arbeit des Gedenkens gegen den Faschismus und Nationalsozialismus“. Er befürchtet ebenso, mit der Causa Ketzer könne nun ein Anlass auch an anderen Einrichtungen geschaffen werden und appelliert an beide Seiten: „Die Aufklärung und das Wohl von Schülerinnen und Schülern müssen hier überwiegen.“
Die VVN hat inzwischen einen Versuch unternommen, diese Brücke zu bauen. In einem Schreiben an die Schule heißt es: „Aus Verantwortung dieser Generation gegenüber und angesichts des Engagements für die Ausstellung aus Teilen des Kollegiums möchten wir Ihnen anbieten, miteinander ins Gespräch zu kommen und einen Weg zu finden, den Schülern Ihrer Schule den Besuch der Ausstellung zu ermöglichen.“ Mit einer Einschränkung: „unter Einbeziehung von Frau Ketzer“.