Mülheim. Eine Mülheimer Ausstellung zu von den Nazi politisch Verfolgten wird an der Realschule Stadtmitte abgebaut. Der Grund: Eine Parteizugehörigkeit.

Seit 40 Jahren zeigt diese Ausstellung „Gegen das Vergessen“ die Verfolgung von politisch Andersdenkenden durch das Naziregime in Mülheim. Konzipiert wurde sie von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) und ist seit 2013 im neuen Gewand eigens für Schulen überarbeitet worden. Viel Lob gab es für sie, doch ausgerechnet an einer Mülheimer Schule wird sie aktuell wieder abgebaut. Denn unerwünscht ist hier nicht etwa das Thema, sondern eine politisch Andersdenkende: die stellvertretende VVN-Kreisvorsitzende und Referentin Inge Ketzer.

„Aufgrund der doch großen Verunsicherung in unserem Kollegium bezüglich Ihrer Person und Ihrer Parteizugehörigkeit hat unsere Schulleitung sich mit der Rechtsabteilung der Bezirksregierung kurzgeschlossen“, schreibt eine offenbar von der Schulleitung beauftragte Lehrkraft wenige Tage vor der Ausstellung per E-Mail an Ketzer und die VVN. Dass Ketzer Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) ist, wird nicht explizit benannt. Was genau die Bezirksregierung riet? Das verrät die Schulleitung im Schreiben nicht. Die Konsequenz ist nun aber: Ketzer darf an der Realschule nicht durch die Ausstellung führen.

Realschule fordert: Entweder ein anderer oder wir bauen ab

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Entweder führe ein anderer Kollege der VVN oder ein Lehrer durch die Ausstellung, „oder wir bauen wieder ab“. Für die Vereinigung ist die explizite Ausladung eines Mitglieds ein unerwarteter Schlag, denn die Schule hatte zuvor explizit ihre Ausstellung angefragt. „Inge Ketzers Parteizugehörigkeit hat hier noch nie eine Rolle gespielt. Die Ausstellung läuft seit Jahren ohne Beanstandung an Schulen, Mülheimer Einrichtungen, im Rathaus und in Kirchen. Auch Polizeipräsident Frank Richter und Essens OB Thomas Kufen hatten keinerlei Probleme, sich mit Inge Ketzer für ein Foto zu zeigen“, merkt Karl-Heinz Zonbergs vom VVN an.

Wie viele Ausstellungen sie schon begleitet hat, kann auch Ketzer nicht mehr sagen, „es sind sicher mehr als 30 unter anderem an der Luisenschule, in den Stadtteilbibliotheken an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule, am Gymnasium Heißen und an der Willy-Brandt-Schule in Styrum“. Viele Lehrer dort seien dankbar für ihre Führungen gewesen, denn oft fehle im Geschichtsunterricht die Zeit für eine so komprimierte Vermittlung.

So kennen viele Inge Ketzer auch: Als Sprecherin und Mitstreiterin der Mülheimer Initiative „Erhalt der VHS in der Müga“. War das mit ein Grund für die Ausladung?
So kennen viele Inge Ketzer auch: Als Sprecherin und Mitstreiterin der Mülheimer Initiative „Erhalt der VHS in der Müga“. War das mit ein Grund für die Ausladung? © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Ketzer: „Ich respektiere, dass Parteimeinung in der Ausstellung nichts zu suchen hat“

Ihr Engagement gegen Faschismus und Rechtsextremismus hat Ketzer zudem viel Respekt auch bei anderen Parteien eingebracht. „Ich weiß ganz genau, dass meine Parteimeinung in der Ausstellung besonders an Schulen nichts zu suchen hat und halte mich genau daran“, sagt sie, die seit 1968 bei der DKP ist und auch kandidiert.

Verboten ist die DKP nicht, auch demokratisch wählbar, wenngleich durch den Verfassungsschutz beobachtet. Gesprächsangebote, die die Bedenken hätten klären können, haben die von Ketzer „verunsicherten“ Realschullehrer aber nie gemacht, auch Auflagen nicht: Man lehnte pauschal ab unter Berufung auf die Bezirksregierung.

Lehrkraft und Partei-Sprecher? Auch sonst an Schulen kein Widerspruch

Dass Lehrkräfte an Mülheimer Schulen hin und wieder öffentlich als Parteimitglieder oder sogar -sprecher auftreten, ist wiederum nicht ungewöhnlich: Dominik Messink ist Lehrer am Gustav-Heinemann und Vorsitzender der Mülheimer Partei „Die Partei“ sowie im Rat der Stadt. Matthias Kocks ist stellvertretender Schulleiter der Willy-Brandt-Schule und auch bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Immer wieder äußern sie sich politisch in den Medien. Bislang kein Problem.

„Seit wann ist die ,richtige’ Parteizugehörigkeit ein Kriterium, um in einem städtischen Gebäude durch eine Ausstellung führen zu können?“, fragt nun der VVN in einem offenen Brief an die Schule und den Schuldezernenten David Lüngen. Und verweist auf die Vorsitzende des Internationalen Auschwitz Komitees, die jüdische Künstlerin und KZ-Überlebende Esther Bejarano – wäre auch sie als Zeitzeugin an der Schule nicht willkommen gewesen, weil sie der DKP angehörte?

VVN-Sprecher rat Realschule zum „Blick ins Grundgesetz“

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Eine Person wegen ihrer Parteizugehörigkeit auszuschließen bei einer Ausstellung, die an die politische Verfolgung gemahnt? Zonsberg hält „einen Blick in das Grundgesetz Artikel 4 und 5“ für angeraten. Darin steht: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“ und „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Was genau also hält die Bezirksregierung und das Schulkollegium der stellvertretenden Kreisvorsitzenden vor? Bis zum Redaktionsschluss ließ sich das nicht klären: Die Bezirksregierung verspricht eine spätere Antwort, die Leitung der Realschule Stadtmitte hingegen antwortet weder auf Anrufe noch auf die schriftliche Bitte um Stellungnahme. Mancher der VVN hält es auch für möglich, dass Ketzers Engagement für die VHS an der Müga manchem Lehrer aufstieß, weil in der öffentlichen Debatte oft mögliche Mittel für eine VHS gegen Mittel für Schulen ausgespielt wurden.

Ketzer: „Wir sind offen für Gespräche“

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Schuldezernent David Lüngen, den der offene Brief der VVN ebenfalls adressiert, erfuhr von dem Sachverhalt erst durch das Schreiben: „Wir haben unverzüglich mit der Schulleitung und der Schulaufsicht bei der Bezirksregierung Kontakt aufgenommen.“ Nach seinen Informationen hätten sich Schule und Bezirksregierung ihm gegenüber erklärt, die Ausstellung als wichtig zu begrüßen. „Es bestand und besteht Interesse daran, die Ausstellung an der Schule zu belassen, wo sie weiterhin steht.“

Auch Inge Ketzer und der VVN wollen das Tischtuch nicht zerschneiden: „Unter den 50 Lehrern im Kollegium gibt es viele engagierte, die eine differenzierte Meinung haben. Wir sind für Gespräche offen, aber das Grundgesetz gilt für alle“, sagt Ketzer.