Mülheim. Fans der Reggae-Szene haben das Festival-Wochenende in Mülheim begeistert genossen. Der Samstagabend bot zwei Kracher: Koffee und Damian Marley.
Aus der ganzen Bundesrepublik sind sie angereist, wie Autokennzeichen rundum beweisen, sogar aus den Niederlanden und Belgien. Wer zu Fuß kommt, hört von weitem schon die Musik, die dieses Festival mit seiner idyllischen und familiären Atmosphäre so beliebt macht. Selbst die ansonsten so geräuschvolle Kulisse der A40, die die Festival-Zeltstadt teilt, scheint mal entspannt ‘ne Pause zu machen. In der Luft liegt nur jener Reggae, den Bob Marley weltberühmt gemacht hat ...
Dessen Konterfei schmückt übrigens viele Produkte in der Merchandising-Zeile, sein Sohn Damian spielt am Samstag als eine der Haupt-Attraktionen. Doch schon in den langen Schlangen an der Kasse fällt auf: Niemand nörgelt, obwohl es so langsam vorangeht. Der verheißungsvolle Zauber der Reggae-Musik, die synonym für Liebe und Frieden steht, beseelt sie alle schon im Vorfeld. Garvin aus Dinslaken kennt viele Festivals, er sagt: „Die friedlichsten Festivals sind die Reggae-Festivals!“
„Die friedlichsten Festivals sind die Reggae-Festivals!“
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Die gefühlte Lässigkeit des Festivals mag nicht zuletzt an der luftig-lockeren Kleidung liegen. Die bunten Stoffhosen sind überall zu sehen, bei Mann und Frau – auch bei den Kindern. Diese extrem weit geschnittenen Haremshosen verschaffen bei Hitze angenehme Kühle, halten dagegen bei Kälte erstaunlich gut und lang die Körperwärme.
Für das besondere Flair tragen zudem die vielen Rastazöpfe, Dreadlocks, Zig Zag Braids und Twists bei, die selbst mancher grauhaariger Festivalbesucher mit viel Stolz trägt. Das geht übrigens auch mit Einhornmütze und Augenzwinkern. Warum auch nicht?
Wie die Leichtigkeit des Seins nach Mülheim-Styrum einkehrt
Wer eine kulinarische Weltreise erleben will, ist rund um die Hauptbühne – unter schattenspendenden Bäumen – perfekt aufgehoben, aus aller Herren Ländern werden landestypische Speisen angeboten.
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Auffällig viele junge Familien mit kleinen Kindern sind auf dem Festival zu sehen, übernachten zum Teil auf dem abseits gelegenen Familien-Camp-Areal. Uli und Katha aus Radevormwald campen ausnahmsweise nicht hier, denn der vier Monate alte Finn sei noch zu klein dafür, sagen sie. Dagegen hat der fünfjährige Phabio schon Reggae-Festival-Erfahrung. „Hier ist’s ruhig, entspannt, freundlich, und es gibt gute Musik“, begründen sie ihre Anwesenheit mit strahlenden Gesichtern. Am meisten freuen sie sich auf Dub FX am Samstagabend, dessen Konzertauftritt anno 2019 wegen eines Unwetters abgebrochen werden musste.
Mit Salzgebäck gegen Müdigkeit: „Schlaf? Nicht vor ein Uhr.“
Das Unwetter bleibt diesmal fern, aber heftigen Regen gab es am Donnerstag, als die ersten Besucher eintrafen. Mit viel Glück konnten Pirattila und sein Bruder Pupa Bombollee mit den Kindern Ava (12) und Damian (10) das festivaleigene Quad zum Transport ihrer vielen Sachen benutzen – zumindest einmal. Das erleichterte einiges, denn die vier haben keinen dieser Bollerwagen, die überall anzutreffend sind. Versierte Festivalbesucher benutzen ihn, um darauf nicht nur die Camp-Ausrüstung zu transportieren, sondern auch die Lebensmittel vom nahe liegenden Supermarkt – und natürlich Kinder, wenn sie mal schwächeln.
Dabei ist das Gelände ja recht klein, sodass man ständig ’Bekannten‘ über den Weg läuft, was viele schätzen. „Wir sind hier eine Familie“, bekennt Diana (63) aus Mülheim, die seit 2007 kein Festival ausließ und jetzt mit ihrer Freundin Heike aus Duisburg nur noch kurz einen salzigen Snack zu sich nimmt, um dann bis zum Schluss an der Bühne zu sein. Schlaf? „Nicht vor ein Uhr“, bekennt Heike lächelnd. Dass Diana die berühmte schwarz, grün, gelb und rot gestreifte Bob-Marley-Mütze trägt, ist selbstverständlich, die gehört zum Ambiente.
Getanzt wird eigentlich immer, selbst beim Schlangestehen
Kurzzeitig gibt’s Verwirrung am Freitagabend beim Kontrollpunkt unterhalb der A 40, weil die üblichen Klappstühle plötzlich verboten sein sollen, um mehr Raum zum Tanzen zu bieten. Doch das Missverständnis löst sich schnell auf. Getanzt wird ohnehin immer, selbst beim Anstehen für Getränke. Dem Lineup von etablierten Musikern wie Collie Buddz, Damian Marley, innovativen Vokalkünstlern wie Dub FX und jungen bemerkenswerten Talenten wie Koffee können nur wenige widerstehen.
Und wer davon eine Auszeit braucht, kann beim Trupp von 15 ehemaligen Mülheimern in der Zeltstadt vorbeischauen, der als „Spaßmacher der Straße“ schon nach einem Tag berühmt ist. Wenn nicht berüchtigt. Über die gesamte Republik verteilt seien sie, erzählt Tim, der aus Hamburg anreiste, doch zum Ruhr Reggae Festival treffen sie sich, seit es besteht. Ihren Standort markiert ein riesiges aufgeblasenes Einhorn, an dessen Horn in ungrader Zahl zu rubbeln, Glück bringen soll, erklärt Volker mit ernster Miene.
Für Abkühlung und Abgeschiedenheit sorgt Naturbad, das quasi als Urlaubshighlight zum Reggae-Festival dazugehört. Schwimmen und Yoga am „Reggae Beach“ bietet es an. So kommen beim gemütlichen Trab zwischen Zeltstadt, Hauptbühne sowie Freibad 10.000 Schritte mit Leichtigkeit zusammen – wie ein Erholungsurlaub weit weg, hört man nicht selten. Und nicht wenige haben sich extra für das Festival gleich mehrere Tage frei genommen. Bloß nicht über die Arbeit sprechen, denn jetzt ist diese ganz eigene Form von „Leichtigkeit des Seins“ angesagt, die sich hier auf jeden zu übertragen scheint. Schade, meint jemand, dass es den Ruhr Reggae nicht auf Rezept gibt.
Und so lief der Samstagabend mit Jungstar Koffee und Marleys Sohnemann
Auch am Samstagabend ist die Stimmung auf dem Festivalgelände ausgelassen. Bei Havanna und Kingston füllt sich der Bereich vor der Hauptbühne, aber es ist noch Platz zum Tanzen. Das ändert sich schlagartig gegen 20 Uhr, als immer mehr Menschen zur Hauptbühne strömen. Moderator Andrew Murphy betritt gegen 20.30 Uhr die Bühne. „Jetzt kommt eine neue Generation von Reggae-Künstlern“, kündigt er an und die Leute jubeln. „Sie ist eine Frau und sie ist klein wie eine Kaffeebohne“, das Publikum lacht und es es folgen Begeisterungsstürme. „Koffee!“
Es fällt auf, dass unter dem Publikum besonders viele junge Leute sind. Kinder und Jugendliche, die sich auf den Auftritt der 22-jährigen jamaikanischen Reggae-Sängerin freuen. Und Koffee überzeugt anfangs mit ihrer starken Bühnenpräsenz, doch leider überträgt die Soundanlage ihre Stimme nicht bis zu den Rändern der Menge. Direkt vor der Bühne scheint die Stimmung gut zu sein, es wird getanzt und Jamaika-Fahnen werden geschwenkt. Aber an den Seiten kommt die Energie nicht ganz an, die Leute wippen eher entspannt von einer Seite zur anderen. Bis sie am Ende ihren wohl bekanntesten Song - Toast - spielt und damit Begeisterung auslöst.
Damian Marley, jüngster Sohn der Reggae-Legende Bob Marley, hat dagegen leichtes Spiel. Seine langen Dreadlocks spielen um seine Waden, als er die Bühne betritt und das Publikum in seinen Bann zieht. Seine Musik ist rhythmisch und tanzbar, die Stimmung toll. Man merkt, dass es für Marley ein Heimspiel beim Reggae Summer ist. Er kennt sein Publikum und weiß, wie er es anheizen kann.
Wie sein Vater, von dem er auch viele Lieder singt, beschäftigt sich Marley mit den alten Reggae-Themen: Freiheit, der Kampf gegen Unterdrückung, aber auch um die hochgelobte Heilpflanze - Marihuana. Das kommt auch beim Ruhr Reggae Summer gut an. Die Menge pfeift, singt und tanzt mit Marley. Als Marley die Bühne verlässt, strömt die eine Hälfte in Richtung Campingplatz oder dem U-Club Dancehall-Zelt im Naturbad. Die anderen lassen die restliche Energie des Tages beim letzten Künstler auf der Hauptbühne, dem DUB FX, aus.