Mülheim. Ein Verein in Mülheim wird seit dem Kriegsausbruch mit Spenden überschüttet. Wieso der 75-jährige Vorsitzende trotzdem losfährt und sammelt.
Norbert Flör ist 75 Jahre alt. Er hat als Flugzeugtechniker die Welt bereist, mit seiner Frau die gemeinsamen Kinder großgezogen und hat ehrenamtlich bedürftigen Menschen geholfen. Als Vorsitzender die Initiative „Tschernobyl Kinder“ in Mülheim hat er in der Vergangenheit schon tonnenweise Hilfsgüter nach Weißrussland geschickt. „Theoretisch könnte ich mich jetzt in meinen Garten legen und meine Rente genießen“, sagt der Senior und lacht. Dann wird er jedoch ernst und senkt betroffen den Blick. „Aber das kann ich einfach nicht. Jetzt brauchen die ukrainischen Flüchtlinge unsere Hilfe.“
Sein Telefon steht seit Kriegsbeginn nicht mehr still. Jeden Tag rufen Menschen an, die spenden wollen. Der Verein betreibt einen Second-Hand-Laden in der Mülheimer Innenstadt, der jetzt schon aus allen Nähten platzt. Wenn sich Flör in dem vollgestopften Raum umsieht, wirkt er überwältigt. „Es wird massenhaft abgegeben. Die Spendenbereitschaft ist der Wahnsinn.“
Second-Hand-Laden in Mülheim bis zur Decke vollgestopft – trotzdem fehlt das Nötigste
Auch interessant
Kein einziger Zentimeter des 100 Quadratmeter großen Raumes ist mehr frei. Die Regale reichen bis unter die Decke und sind prall gefüllt – mit Teddybären, Handtüchern, Kissen, Decken, Deko, Schuhen und anderen Gebrauchsgegenständen, die jahrelang unbenutzt in irgendeinem Keller verweilt haben. An den Kleiderständern hängen so viele Pullover, Jacken und Hosen, dass es schwer werden würde, daran noch ein einziges T-Shirt aufzuhängen. Auch im Hinterzimmer stapeln sich die bepackten Bananenkisten und das separate Lager ist ebenfalls komplett gefüllt mit Möbeln.
Flör und die 25 freiwilligen Helfer sind immer noch dabei, die Spenden zu sortieren. Mit gelber Fleece-Jacke, blauer Jeans, grauer Mütze und Arbeitshandschuhen packt er eine Kiste nach der nächsten ein. Auf einigen Kartons steht „Nur für ukrainische Flüchtlinge.“ Denn offenbar fehlt trotzdem das Nötigste. Gebraucht werden zurzeit vor allem Haushaltsgegenstände: Teller, Tassen, Töpfe, Pfannen,... „Die kleinen Helferchen, die man so zum Kochen braucht.“
Schicksale der ukrainischen Familien in Mülheim gehen dem Rentner sehr nahe
Das weiß Norbert Flör, weil er schon mehrere ukrainische Flüchtlinge in privaten Wohnungen untergebracht hat. Für eine Mutter und ihre beiden, kleinen Töchter hat er sogar ein Zimmer in einem Altenheim gefunden, in dem sie vorübergehend untergekommen sind. „Die drei haben in dem Heim zum Glück alles vor Ort. Aber manche beziehen spärlich eingerichtete Wohnungen und haben gar nichts - außer ihr Leben“, erzählt Flör und schüttelt fassungslos den Kopf. Wenn er von den Familien erzählt, kommen ihm die Tränen.
In den letzten vier Wochen hat er viele Schicksale hautnah miterlebt, die ihm auch als gestandener Mann unter die Haut gehen. Er sieht die Menschen, die nach mehreren Tagen Flucht mit einem kleinen Koffer ihres verbleibenden Lebens ankommen und völlig erschöpft sind. „Die kommen aus Gebieten, in denen die Bomben gefallen sind. Man kann sich nicht vorstellen, was sie durchgemacht haben.“ Trotzdem würden sich viele ihre traumatischen Erlebnisse nicht anmerken lassen wollen. Zu tief sitze der Schock, zu groß sei die Dankbarkeit über den herzlichen Empfang und die Hilfsbereitschaft.
Laden nur für ukrainische Flüchtlinge geöffnet - Nachfrage in Mülheim bisher gering
„Ich bin kein Samariter und ich klopfe mir auch nicht abends auf die Schulter“, sagt Flör und wendet seinen Blick verlegen ab. Er wolle einfach helfen. Irgendetwas treibe ihn dazu an. „Ich weiß nicht, was es ist. Ich weiß nur, dass ich bei so viel Leid nicht wegsehen kann. Wir leben in so einer Überflussgesellschaft, dass jeder helfen kann.“ Nächsten Donnerstag, 31. März, will er den Second-Hand-Laden am Kohlenkamp nur für ukrainische Flüchtlinge öffnen (14.30 bis 16.30 Uhr). Hilfsgüter und Bekleidung werden dann an Kriegsflüchtlinge gegen Vorlage eines Personalausweises ausgegeben. Bisher seien sie eher zurückhaltend und die Nachfrage nach Spenden sei gering, so Flör.
„Wir haben alles für sie da und wenn wir etwas nicht haben, können wir es besorgen. Jetzt müssen sie nur noch herkommen.“ Dann klingelt sein Telefon. Es ist eine ältere Dame, die wegen ihres Umzugs ganz viele Haushaltsgegenstände abzugeben hat. Während er mit der einen Hand das Handy ans Ohr hält, sortiert er mit der anderen die Kinderkleidung. „Natürlich komme ich vorbei. Ich bin um 14 Uhr da. Wir sind für jeden Teller dankbar“, sagt Flör. Er legt auf und lächelt. Jetzt ist wirklich alles vorbereitet.