Mülheim. Historisch führte der westliche Wanderweg am Mülheimer Kahlenberg einst zum Restaurant, später zur Jugendherberge. Warum er heute stillgelegt ist.
Zugegeben: Man muss schon ein bisschen suchen. Und doch: Der historische westliche Wanderweg zwischen dem oberen Kahlenberg und der ehemaligen Jugendherberge ist zwar verwachsen, aber noch zu erahnen. Diesen „Dornröschenweg“ zu betreten, wäre derzeit allerdings nicht ungefährlich, weshalb ein Tor den Zugang von unten versperrt und ein Schild (noch von der „Oberbürgermeisterin“) vor Waldschäden warnt. „Waldschäden“? Die Nähe zur an Privat verkauften Jugendherberge lässt die Gerüchteküche brodeln.
Von der Kahlenberg-Plattform aus liegt der Abgang einige Schritte westlich entlang des Oberen Kahlenbergwegs. Ziemlich steil geht’s dort bergab – kein Spaziergang. Und schon gar nicht, weil sich die Natur den Pfad nach mehr als einem Jahrzehnt der Nicht-Nutzung sichtbar zurückerobert hat. Kaum zu glauben, dass dieser mal auf einem Lageplan des Kahlenberg-Restaurants von 1908 als offizieller Zuweg eingezeichnet ist.
Angelegt hatte ihn der Mülheimer Verschönerungsverein als „Flanierweg“
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Doch auch auf einem weiteren undatierten Plan, der im Mülheimer Stadtarchiv zu finden ist und vermutlich vor 1934 angefertigt wurde, ist der Weg deutlich zu sehen. Wer ihn gehen würde, landete am Ende an einer Treppe und einem Metalltor westlich des ehemaligen Restaurants und der späteren (ebenfalls ehemaligen) Jugendherberge.
Angelegt hat ihn wohl der 1879 gegründete Verschönerungsverein als „Flanierweg“ erst zur Gaststätte, dann diente er der Jugendherberge als Zuweg, und beide Einrichtungen wiederum den Wanderern als willkommener Ort zum Rasten. Von dort aus konnten die gut gestärkten Gäste weiter östlich zum Parkplatz Weißer Turm und zu den Bootshäusern. Das ist auch heute noch begrenzt möglich – an der heute privat genutzten „Herberge“ endet ein historischer Teil des Wegs. Der neue Eigentümer schob hier den Riegel vor.
Mancher Wanderer wundert sich über seit Jahrzehnten bestehende „Waldschäden“
Kein Wunder vielleicht, dass mancher Spaziergänger, der auf der westlichen Seite der Jugendherberge vor verschlossener Tür steht, vermutet, dass besagter Eigentümer hier ebenfalls die Hände im Spiel hatte und mit dem Tor einen möglicherweise regen Wanderverkehr unterbinden wollte. Zumal dahinter eine robuste Steintreppe aufwärts führt.
Doch stattdessen muss man hier 400 Meter entlang der Dohne Richtung Innenstadt schlendern, um den Berg hoch zu kommen. Sicher kein Riesenumweg für Wandervögel. Aber Waldschäden?, wundert sich eine Wanderin über das Warnschild der Oberbürgermeisterin, wieso sind die nicht längst behoben worden?
Im Zuge des Verkaufs 2010 wollte man den Weg offenbar noch erhalten
Gute Frage. Denn in einer Ratsvorlage zum Verkauf der Jugendherberge war man um den Erhalt zumindest des westlichen Wanderweges sehr bemüht: „Im Bereich der Kauffläche befinden sich zwei öffentliche Wanderwege, die ins Wegenetz der Stadt eingebunden sind“, hieß es. Der östliche sei aufzugeben, weil ein öffentlicher Fußweg quer über das Grundstück den Bewohnern „nicht zugemutet werden“ könne.
Doch „der westlich am Gebäude vorbeiführende Weg ist allerdings auf Dauer zu erhalten und mit einem Geh- und Fahrrecht für die Öffentlichkeit grundbuchlich zu sichern“, heißt es in der Vorlage weiter.
Sechs Jahre später und nach dem Verkaufsbeschluss änderte sich jedoch die „Fahrtrichtung“. Zwar „besteht ein Wegerecht für die Rampe, bis zu dem vorderen Weg, der vor dem Gebäude nach oben führt“, gab die Verwaltung 2016 der CDU-Fraktion in der Bezirksvertretung 1 Auskunft.
2022: Wiederherstellung und Haltung des Wanderwegs ist zu aufwendig
Aber es bedeute einen „nicht unerheblichen Aufwand, diesen Weg herzustellen und ihn anschließend verkehrssicher zu halten“. Aus den laufenden Mitteln des Forstes sei das nicht zu leisten. Wanderer könnten ja auch über den östlichen Weg zum Kahlenberg hoch – nur ist der Zugang am Weißen Turm ebenfalls rund 550 Meter entlang der Mendener Straße entfernt. Gefragt nach dem „Dornröschenweg“ hat seitdem kaum mehr jemand.
Betretbar soll der westliche Teil übrigens schon seit Ende der 1990er Jahre nicht mehr sein – das teilt die Stadt auf Anfrage der Redaktion mit – wie auch so mancher anderer nicht. Drei Gründe sollen dazu geführt haben: So habe man vor fast zwei Jahrzehnten festgestellt, dass der Hang sehr instabil sei und Felsabschnitte und Bäume die Straße stark gefährdeten.
Die Straße wurde gesperrt, der Hang untersucht, teilweise gerodet und eine Spezialfirma aus Süddeutschland wurde 1999 damit beauftragt, den Hang mit Ankern und Stahlnetzen besonders im unteren Teil zu sichern. Aufwendig seien seltene Pflanzenarten an diesem Hang nach der Maßnahme wieder angesiedelt worden.
Einige der historischen Wege bzw. Teile der Wege seien im Zuge dieser Maßnahme aufgehoben worden. Denn fortan gilt der Berg mit Hang zum Flanieren als ein „wichtiges schützenswertes Biotop mit seltener Flora und Fauna“. Und drittens, so argumentiert die Stadt, würde die historische Vielzahl der Wege an dem steilen Hang einen erheblichen Aufwand bezüglich der Verkehrssicherungspflicht nach heutiger gesetzlicher Maßgabe notwendig machen. So wären etwa an bestimmten Stellen Geländer notwendig.
Sauerländischer Gebirgsverein fordert mehr Pflege des östlichen Wanderwegs
Ein Verlust für Bürger und Wanderfreunde oder gar historischer Wegebeziehungen, die sein Erbauer – der Verschönerungsverein – damals immerhin beabsichtigt hatte? Zumindest durch die Aufgabe des Restaurants und später der Jugendherberge haben die Wege diese Bedeutung offenkundig verloren.
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Planungsrechtlich handelt es sich am Kahlenberg und auch im Witthausbusch um „Wald“, da gebe es keine Gehrechte oder öffentlich gewidmete Wege, meint die Stadt. Wieder reaktivieren will man den Weg also nicht. Vielmehr sei aus Sicht der Stadt „die Freizeitnutzung des Kahlenbergs mit dem oberen Wanderweg auf der Kante des Hanges und dem Leinpfad am Fluss umfänglich gegeben und als schöner Rundweg zu genießen“.
Für Wanderfreunde wie den Sauerländischen Gebirgsverein ist der Verlust offenbar zu verschmerzen: „Man muss die Realität sehen“, pflichtet der Vorsitzende Joachim Singendonk der Stadt bei, der Weg sei sehr abschüssig und entsprechend aufwendig zu pflegen. Andere Dinge seien wichtiger, „etwa den östlichen Weg bis zur Plattform zu erhalten. Der ist an manchen Stellen schon gefährlich geworden.“ Oder den Fossilienweg zu erhalten, meint Singendonk – „ohne Asphalt, aber das ist ja an einer anderen Stelle“.
So wird das Schild der Oberbürgermeisterin noch lange dort hängen und auf Waldschäden hinweisen für einen Weg, der vielleicht für immer im Dornröschenschlaf bleiben wird.