Mülheim. Während die Corona-Zahlen des RKI Mülheim als Insel der Hoffnung darstellen, ist die Realität eine andere. Ein Bericht aus dem Krisenstab.
So können unkommentierte Statistiken die Wirklichkeit verfälscht wiedergeben: Weist das Robert-Koch-Institut Mülheim im Deutschland-Vergleich der Sieben-Tage-Inzidenzen als eine deutsche Kommune mit den niedrigsten Werten aus, so ist die Lage doch eine andere. Die Gründe.
Im besagten Deutschland-Vergleich steht Mülheim mit dem relativ niedrigen Inzidenz-Wert von 681,0 nicht erst am Montagmorgen auffallend gut da. Bundesweit nur zwölf Städte und Landkreise weisen da eine niedrigere Inzidenz aus, keine davon in Nordrhein Westfalen.
Hoher Krankenstand: Mülheims Gesundheitsamt kommt mit Meldungen nicht nach
Mülheim - eine Insel der Hoffnung, die Omikron-Welle schnellstens hinter sich zu lassen? Ein Blick in Mülheims Nachbarstädte lässt zweifeln. Dort werden seit Tagen weitaus höhere Inzidenz-Werte ausgewiesen: So liegt der Wert in Duisburg bei 1385,4, in Oberhausen bei 1292,2, in Essen bei 1315,4 und im Kreis Mettmann bei 1850,0.
So abgeschottet vom Umfeld ist Mülheim denn doch nicht. Gesundheitsamtsleiter Frank Pisani sagte am Montag auf Nachfrage, dass er davon ausgehe, dass Mülheim tatsächlich wohl Inzidenz-Werte in der Spannweite der Nachbarstädte haben dürfte. Pisani berichtet, dass sein Gesundheitsamt aufgrund zahlreicher Krankheitsausfälle mit dem Melden der aktuellen Covid-19-Fälle ans Landeszentrum für Gesundheit nicht nachkomme.
Krisenstab: „Aktuell angespannte Situation“ in den beiden Mülheimer Krankenhäusern
Um die personell schwierige Lage zu beherrschen, konzentriert sich die Behörde laut Pisani aktuell auf die Bereiche, wo es direkt „um das menschliche Wohl“ gehe. Ein Team kümmere sich um Schulen und Kitas, eins um die Pflegeheime, ein weiteres um die Kontaktnachverfolgung bei den positiv getesteten Menschen ab einem Alter von 65 Jahren. „Erst wenn ich darüber hinaus wieder personelle Kapazitäten frei habe, gebe ich es in die Statistik“, so der Amtsleiter. So kann es noch dauern, bis für Mülheim wieder eine valide Sieben-Tage-Inzidenz zu berichten ist.
Pisani als Mitglied des städtischen Krisenstabs, der am Montag wieder turnusgemäß zusammenkam, berichtet auch über eine „aktuell angespannte Situation“ in den beiden Krankenhäusern. Das Evangelische Krankenhaus sei dabei noch etwas stärker vom hohen Krankenstand beim eigenen Personal betroffen als das St. Marien-Hospital, so Pisani. Die Häuser arbeiteten aber eng und gut zusammen, so dass „Versorgungssicherheit auf jeden Fall gegeben“ sei.
Stadt sieht leichte Entspannung bei der Versorgung mit PCR-Tests
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Angespannt sei auch die Lage in den niedergelassenen Praxen. Sie seien genötigt, sich auf das absolut nötige Tagesgeschäft zu konzentrieren. Für darüber hinausgehende Dienstleistungen, etwa Quarantäne-Beratungen, bleibe keine Zeit.
Die Versorgungslage mit PCR-Tests sieht der Behördenchef leicht entspannt. Es gebe immer noch einen hohen Bedarf, doch Labore und Teststellen kämen der Nachfrage etwas besser nach. Gleichwohl lasse Mülheim, wie andere Städte auch, über den Städtetag bei der Politik einfordern, dass der Bürgertest den PCR-Tests zum Nachweis des Genesenen-Status’ gleichgesetzt werde, damit etwa Eltern nicht hinter der Bescheinigung hinterherlaufen müssten für eine Impfung ihrer Kinder.
Durchseuchung der Mülheimer Schüler schreitet weiter voran
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Aufschlussreich ist zu Wochenbeginn der Blick auf die Betroffenheit der Altersgruppen von einer Corona-Infektion. Hier zeigt sich deutlich, dass insbesondere Schülerinnen und Schüler von einer Ansteckungsgefahr betroffen sind. In Mülheim am stärksten betroffen: männliche Schüler im Alter zwischen fünf und 14 Jahren. 26,2 Prozent von ihnen haben sich bereits infiziert. Mit 24,2 Prozent liegt der Wert bei den gleichaltrigen Schülerinnen ähnlich hoch.
Am zweithöchsten liegt der Grad der Durchseuchung in Mülheim in der Altersgruppe der 15- bis 34-Jährigen (männlich: 16,5 Prozent, weiblich: 19,5 Prozent). Es folgen die Altersgruppen der 35- bis 59-Jährigen (männlich: 13,0 Prozent, weiblich: 14,0 Prozent), der Kleinkinder unter vier Jahren (männlich: 10,6 Prozent, weiblich: 10,9 Prozent), der Menschen über 80 Jahre (männlich: 6,8 Prozent, weiblich: 6,5 Prozent) sowie der 60- bis 79-Jährigen (männlich: 5,9 Prozent, weiblich: 5,5 Prozent).
Pisani: Mit Gruppen-Quarantänen wäre „der Schulbetrieb sofort lahmgelegt“
290 Todesopfer: Wie alt sie waren
Die Pandemie zählt in Mülheim aktuell 290 Todesopfer mit nachgewiesener Covid-19-Erkrankung. Das Robert-Koch-Institut listet auch auf, in welchem Alter und welchen Geschlechts die gestorbenen Mülheimerinnen und Mülheimer waren.
So waren 182 der 290 Todesopfer älter als 80 Jahre, darunter 97 Frauen und 85 Männer. In der Altersgruppe der 60- bis 79-Jährigen starben 34 Frauen und 56 Männer mit einer Infektion, in der Gruppe der 35- bis 59-Jährigen waren es fünf Frauen und elf Männer. Zwei männliche Opfer waren gar auch im Alter zwischen 15 und 34 Jahren.
Pisani berichtet aus dem Krisenstab von einer belastenden Situation für die Schulen. Aktuell gebe es an Grundschulen 94 bestätigte und 22 Fälle, die noch auf eine Bestätigung warten. An den weiterführenden Schulen sind aktuell 27 bestätigte Fälle registriert, dazu gar 144, die noch auf Bestätigung warten. Hohe Zahlen gibt es auch in den Kitas: mit 76 bestätigten und 17 noch offenen Fällen. Ohne die Mülheimer Regelung, bei Positivfällen nicht gleich ganze Gruppen in Quarantäne zu schicken, so Pisani, wäre „der Schulbetrieb sofort lahmgelegt“ – mit all den Folgen für die Ausbildung der Kinder und ihr psychosoziales Befinden.
Ein letzter Blick auf die Impfungen: In der Stadt werden immer weniger Boosterimpfungen verabreicht. Binnen der vergangenen sieben Tage waren es nur mehr 2834. Eine fünfstellige Zahl wurde zuletzt am Ende des Jahres erreicht.
Totimpfstoff Novavax lässt weiter auf sich warten – erste Lieferung Ende Februar?
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„Erwartbar“, sagt Pisani, der aber davon ausgeht, dass die Zahlen absehbar wieder steigen werden, sobald die Ständige Impfkommission die zweite Boosterung empfiehlt und ein entsprechender Erlass diese Auffrischung auch ermöglicht.
Weiter wartet die Stadt auf die Auslieferung des neuen Totimpfstoffes Novavax. „Vermutlich erst Ende Februar“ sei mit einer ersten Charge für Mülheim zu rechnen, so Pisani. Erst einmal Impfvorrang sollen dann Beschäftigte bekommen mit einrichtungsbezogener Impfpflicht. Registriert sind etwa in Mülheimer Pflegeeinrichtungen 162 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ungeimpftem Status.