Mülheim. Ein Sharing-Fahrzeug kann zehn Pkw ersetzen. Doch Mülheim hat das enorme Potenzial für mehr Fuß-, Radwege und Grün kaum angepackt. Wo klemmt’s?

Ein einzelnes Carsharing-Fahrzeug kann heute schon mehr als zehn private Pkw ersetzen – man stelle sich dieses Potenzial für die hochverdichtete, aber schwer umkämpfte Mülheimer Innenstadt und Stadtteilzentren vor: Weniger Parkraum wäre etwa an der Schloß- und Düsseldorfer Straße nötig, dafür wären mehr Aufenthaltsqualität und sichere Fußwege möglich. Und dennoch könnte man den privaten Komfort, mit dem Auto bis vors Geschäft fahren zu wollen, weiter ausleben. Doch das Carsharing führt in Mülheim ein Schattendasein.

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100 Sharing-Fahrzeuge unterhält „Stadtmobil“ in Essen, in Mülheim dagegen drei

So liegt die Ruhrstadt etwa im Städteranking der Carsharing-Branche gerade einmal auf Platz 112 von 151 mit nur neun Fahrzeugen, rund 0,5 Fahrzeuge pro 1000 Einwohner.

Warum? Dafür lohnt ein Blick in die Nachbarstadt Essen: Rund 20 Carsharing-Stationen sind hier in den vergangenen Jahren geschaffen worden, teilweise als „Mobilstationen“ mit der Ruhrbahn. Rund 100 Fahrzeuge seien in der Stadt unterwegs, macht Matthias Kall, Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Stadtmobil für den Bereich Rhein-Ruhr, den Unterschied deutlich.

Denn in der drei Mal so kleinen Großstadt Mülheim hat „Stadtmobil“ nur zwei Carsharing-Standorte – ein Zehntel – und gerade einmal drei Fahrzeuge. Eine weitere Station des „RuhrAuto“ am Hauptbahnhof bewirbt die Stadt auf der Homepage. Das Unternehmen würde in Mülheim gerne weiter investieren, doch bislang scheitert es an einer „ÖPNV-feindlichen Politik“, sagt Kall offen.

Matthias Kall, Geschäftsführer von Stadtmobil, würde gern mehr Carsharing-Angebote in Mülheim anbieten. In Essen kooperiert der Auto-Verleih mit der Ruhrbahn.
Matthias Kall, Geschäftsführer von Stadtmobil, würde gern mehr Carsharing-Angebote in Mülheim anbieten. In Essen kooperiert der Auto-Verleih mit der Ruhrbahn. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Carsharing in Mülheim scheitert aktuell auch an einer „nahverkehrsfeindlichen Politik“

Für das Teilen eines Autos aber ist ein Ausbau von Alternativen zum privaten Auto zentral und von Knotenpunkten („Mobilstationen“), an denen Carsharing mit dem Nahverkehr oder dem Fahrrad unkompliziert verbunden werden. Auch hier punktete die „grüne Stadt Essen“ mit mehr und neuen Straßenbahnlinien, Taktverbesserungen, Fahrradstraßen und: Mobilstationen.

Carsharing-Projekt des SWB endet nach drei Jahren

Die Mülheimer SWB hingegen bedauert, dass das Carsharing-Projekt mit Ford nach drei Jahren ausgelaufen ist. Ford habe gekündigt, sagt SWB-Pressesprecherin Christina Heine. In der Stadtmitte sei das Angebot sehr gut angenommen worden, hingegen in Heißen und Dümpten weniger.

„Wir suchen aber weiterhin nach Verkehrs-Alternativen gerade für unsere Neubau-Projekte“, sagt Heine. E-Ladestationen für Autos und Fahrräder bietet die SWB bereits an, „wir wollen aber nicht nur energetisch nachhaltig handeln, sondern auch in Bezug auf die Ressource Verkehr“, so die Pressesprecherin.

In Mülheim hingegen wurde der Nahverkehr jahrelang massiv abgebaut, ein Umdenken gibt es es jetzt mit einem neuen Nahverkehrsplan. Doch auch der sieht keinen echten Ausbau vor, sondern Verschlankungen, Optimierungen und ein Sparziel von zwei Millionen Euro. Was von den angedachten Verbesserungen am Ende Realität wird, ist zudem noch lange nicht entschieden.

Auch bei den Mobilstationen der Ruhrbahn hinkt Mülheim hinterher. Es gibt aktuell: keine. Dabei ist im „Masterplan zur Umsetzung von emissionsreduzierenden Maßnahmen“ im September 2018 bereits ein Konzept mit fünf solchen Standorten am Hauptbahnhof, in der Broicher Mitte, an der Von-Bock-Straße, am Oppspring und an „Heißen Kirche“ erarbeitet und auch im Mobilitätsausschuss vorgestellt worden.

Beim Ausbau von Mobilstationen hinkt Mülheim massiv hinterher

Drei Jahre später erst - im Februar 2021 – hakte die Politik im Mobilitätsausschuss nach. Ergebnis: Nur noch drei Stationen an Hauptbahnhof, Von-Bock-Straße und Broicher Mitte hat die Ruhrbahn geplant. Auf Nachfrage machte das Verkehrsunternehmen deutlich, dass „nicht alle Standorte untersucht worden seien“. Und „auf Grund der Stadtstruktur“ habe man sich gegen den Standort Heißen Kirche ausgesprochen, es werde dort „kein Kundenstamm vermutet“. Grüne und CDU baten um Prüfung weiterer drei Standorte: Sültenfuß, Heißen Kirche sowie Alte Straße (Saarn).

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Doch selbst wenn alle sechs umgesetzt würden, wäre das Potenzial für Mülheim noch lange nicht gehoben. Durchschnittlich 23 Stunden am Tag steht ein privates Auto unbewegt auf einem Park- oder Stellplatz – das zumindest hat das Umweltbundesamt festgestellt. Das Fahrzeug ist in erster Linie also ein „Steh-Zeug“, das kostbaren Platz in hochverdichteten Innenstädten beansprucht.

Mobilstationen wären für Sharing-Unternehmen ein Anreiz

Das Carsharing – das eben kaum Stehzeiten kennt – könnte ein Baustein dazu sein, Parkplätze zu reduzieren, ohne den motorisierten Individualverkehr auszuschließen. Und den stark umkämpften Stadtraum zu nutzen für Fuß- und Radwege, Cafés oder Grünflächen.

Stadtmobil-Geschäftsführer Matthias Kall schaut dabei auf die Rüttenscheider Straße, wo die Umstrukturierung nicht nur den Cafés zugute gekommen sei, sondern auch für weniger Lärm und mehr Sicherheit sorge. Die in Mülheim angedachten Mobilstationen wären aus unternehmerischer Sicht zumindest ein Anreiz, um weiter zu investieren. Kall: „Mit funktionierenden Stationen könnten wir auch die bisher nicht ganz optimalen Standorte entwickeln.“