Mülheim. Die Kapelle im Rumbachtal ist für viele Mülheimer ein besonderer Ort. Familie Sensener baut das Kirchlein aktuell um und verrät, was geplant ist.
Wenn sich die Sonne am Abend um die Ecke schiebt und das alte Bogenfenster in allen Farben leuchtet, dann spürt man, dass dieser Ort nie ein gewöhnlicher war. „Dann fällt hier ein unglaubliches Licht rein“, schwärmt Rainer Sensener. Die ehemalige Orgelbühne im ersten Stock zeugt ebenfalls von der speziellen Geschichte des Gebäudes, das der Bausachverständige und seine Frau Annette, eine Immobilienkauffrau, aktuell zu ihrem neuen Zuhause umbauen lassen. Lang tat sich nichts in der einstigen Kapelle im Rumbachtal – nun entstehen dort vier Wohnungen und ein Büro.
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Als vor rund acht Jahren die letzten evangelischen Gottesdienste in dem Kleinod an der Walkmühlenstraße gefeiert wurden, war die Trauer vieler alteingesessener Mülheimer und Mülheimerinnen groß. Die Kapelle, sie gehörte einfach dazu. Sie war ein verlässlicher Ort für schöne Begegnungen, für emotionale Momente. „Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen hier immer noch reinschneien und fragen, ob sie bitte mal gucken dürfen“, so Sensener. Sentimentale Sätze wie „Ich bin doch hier getauft worden“ hört das Ehepaar regelmäßig. Die Nachbarn, sie schauen hin: Was wird aus dem vertrauten Kirchlein?
Kapelle im Mülheimer Rumbachtal sollte Kirchgängern weite Wege ersparen
Gebaut worden ist die Kapelle vor über 100 Jahren. Sie sollte Kirchgängern aus dem Tale weite Wege ersparen. „Bauern sollen sie in Auftrag gegeben haben“, hat man Sensener erzählt. Laut Bettina Przytulla, vormals Roth, früher Pfarrerin der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde, hat die einstige Altstadtgemeinde das Grundstück 1908 für 3568 Mark erworben und dort eine kleine Filiale errichtet. „Der Fußmarsch zur Petrikirche auf unbefestigten Straßen und mit Holzpantinen war damals ja eine mühsame Sache“, so Przytulla vor einiger Zeit im Gespräch mit dieser Zeitung.
Leider besitze man keine Aufzeichnungen zur genauen Baugeschichte des denkmalgeschützten Objekts; 1910 aber soll es eingeweiht worden sein. Das Gebäude mit Elementen aus dem damals modernen Jugendstil soll dem Bahnhof im Künstlerdorf Worpswede ähneln.
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Dort, wo einst der Altar stand, wächst der Wohnbereich der Familie heran
Von außen hat es sich in den vergangenen Monaten noch kaum verändert, innen aber tut sich eine Menge: Dort, wo einst der Altar stand, ist klassische Baustelle und wächst der Wohnbereich der Familie Sensener heran. Der rund sechs Meter hohe Raum ist kleiner als früher der Kirchsaal. Im Schiff wurden Wände hochgezogen, der hintere Teil des Gottesdienstraumes abgetrennt. Die alten Fenster mit Bleiverglasung sind noch nicht alle an Ort und Stelle, müssen aber wieder eingesetzt werden.
Auf rund 250 Quadratmetern wird die Familie, zu der auch drei ältere Kinder und Hund Oreo gehören, wohnen. Einziehen will sie im Frühjahr; „eigentlich war der März angepeilt, jetzt wird es Mai werden“, schätzt Sensener. Aktuell gebe es „große Probleme“, Handwerker zu finden und Lieferschwierigkeiten seien an der Tagesordnung. „Holz ist kaum zu kriegen, Dämmmaterial auch nicht. Es ist auch schwierig, die dünnen Scheiben für die alten Fenster aufzutreiben, zumal sie gute Energiewerte haben sollen.“ Außerdem seien „die Preise explodiert“. Das Projekt werde deutlich teurer als zunächst geplant, fürchtet der Bauherr.
Ehepaar Sensener hat in Mülheim schon mehrfach Denkmäler umgebaut
Im Sommer 2020 haben Rainer und Annette Sensener das Objekt erworben. Vorherige Eigentümerin war die MK Immo Invest GmbH aus München, die auf dem ehemaligen Parkplatz der Kapelle – nach etlichen Problemen mit Wasser in der Baugrube – einen schicken Neubau hochzog, den Umbau des Gotteshauses aber trotz Baugenehmigung nicht vorantrieb. Das Ehepaar, das in Mülheim mehrfach Denkmäler umgebaut hat, wollte sich „privat neu aufstellen“ und sah den Kauf als gute Gelegenheit an. „Dieses Haus ist etwas Besonderes“, so Rainer Sensener.
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Auch die baulichen Herausforderungen sind nicht alltäglich: „Allein der Brandschutz ist ein Riesenthema.“ Feuchtigkeit im Haus und das hochstehende Grundwasser im Rumbachtal beschäftigen den 52-Jährigen ebenfalls: „Wir haben alles gut abgedichtet und wir haben Schotts vorgesehen“, also Stahlplatten, die im Überschwemmungsfall ins Mauerwerk eingesetzt werden können, um das Haus zu schützen. Auch ein Regenrückhaltebecken im Garten, unweit von Mühlengraben und Rumbach, soll für Sicherheit sorgen.
Drei Mietwohnungen auf drei Ebenen, mit Grundflächen von 58 bis 102 Quadratmetern
In der alten Kapelle entstehen neben dem neuen Familienheim auch drei kleinere Mietwohnungen auf drei Ebenen, mit Grundflächen von 58 bis 102 Quadratmetern, zudem eine Büroeinheit von 40 Quadratmetern. Vermarktet werden sollen sie ab Jahresende. Schon immer diente das Gebäude Wohnzwecken: Küster und Gemeindeschwestern lebten einst dort, später gab es eine Pfarrwohnung.
Auch Architekt sieht Brandschutz als größte Herausforderung
Das Essener Architekturbüro Bolte und Galle ist für den Umbau der Kapelle verantwortlich. Rolf Galle bezeichnet das Vorhaben als „sehr komplex“. Man müsse „Unmengen an planerischen Dingen zeichnen“.
Für gewöhnlich treiben seine Kollegin Viola Bolte und er eher Neubauten voran, doch dass aus Kirchen Wohnraum entstehe, sei ja längst nicht mehr ungewöhnlich. Die Umnutzung nach Aufgabe eines Kirchenstandortes sei „ein großes Thema in der Gesellschaft“.
Auch Architekt Galle sieht den Brandschutz als größte Herausforderung an: Die Leitungswege im Haus seien alles andere als klar strukturiert und die Hülle sowie die Substanz des Hauses größtenteils aus Holz.
Die Dachgeschosswohnung wird später übrigens keinen Balkon Richtung Garten besitzen. Eingebaut wurden deshalb so genannte Cabriofenster, die bodentief sind und sich mit einer Art Balkongeländer ausklappen lassen – für den ungetrübten Blick ins Grüne.
Wer über die Baustelle streift, ahnt, dass hier keine 08/15-Unterkünfte entstehen – es werden Liebhaberwohnungen mit ganz eigenem Charakter. Unterm Dach bleibt die Glocke im kleinen Turm hängen und wird auf ewig sichtbar sein durch ein kleines Fenster. Die Absprache mit der Denkmalbehörde funktioniert gut, lobt Sensener. Und mit den Architekten Viola Bolte und Rolf Galle, die früher schon für ihn tätig waren, sei man zwischenzeitlich „ein eingespieltes Team“.
„Wir möchten es Paaren ermöglichen, sich bei uns das Jawort zu geben“
Niemals, so sagt Rainer Sensener, würde er in einen Neubau einziehen. Die ehemalige Kapelle habe „Flair, Leben, Historie“. Man sei auch durchaus christlich, betont Annette Sensener, und freue sich deshalb, in ein ehemaliges Gotteshaus einzuziehen: „Wer kann schon sagen, wir wohnen in einer Kirche?“, so die 52-Jährige. Man denke darüber nach, das Gebäude bald wieder im Sinne seiner ursprünglichen Bestimmung zu nutzen, zumindest in bescheidenem Umfang: „Wir möchten es Paaren ermöglichen, sich bei uns das Jawort zu geben.“ So lasse sich vielleicht ein bisschen Geschichte des Hauses in die Neuzeit retten.