Mülheim. Die Corona-Pandemie hat 2020 manches verändert, vieles unmöglich gemacht. Vier Mülheimerinnen schildern ihre ganz persönlichen Erfahrungen.
Vier Frauen aus Mülheim berichten, wie sie die zehn Monate seit dem ersten Lockdown erlebt haben.
Elena Schramm (19) - die Abiturientin
Die Abiturienten hat Corona kalt erwischt. Elena Schramm weiß noch genau, wie es an einem Freitag im März plötzlich hieß: Keine Schule mehr bis zu den Osterferien! "Von einer Sekunde auf die andere war dieser Tag nun unser letzter Schultag. Da sind auch Tränen geflossen." Die Motto-Woche, der Abi-Streich waren dahin - später auch der Abi-Ball. "Und wir saßen zu Hause, waren total unruhig, haben fürs Abi gelernt. Manche Mitschüler konnten zu Hause schlecht arbeiten, weil es dort zu unruhig war", berichtet die 19-Jährige.
Ein kleiner Lichtblick: die Zeugnisverleihung im Autokino. Aber: "Jeder saß in seinem Auto, ein richtiges gemeinsames Feiern war das nicht." Und die Aussichten auf die Zeit danach waren auch nicht rosig. Größere Reisen, Auslandsaufenthalte mussten wegen der Pandemie storniert werden. "Ich wollte mit Freunden nach Griechenland, das ging auch nicht", so Elena.
Froh war sie, dass sie - anders als viele Mitschüler - schon einen Plan hatte für ihre Zukunft. "Ich möchte Medizin studieren, habe mich zunächst für eine Ausbildung zur Pflegefachkraft im Evangelischen Krankenhaus beworben." Sie wurde angenommen, die Arbeit macht Spaß. "Viele Kollegen sagen allerdings: Es tut mir leid, dass ihr jetzt anfangt, wo wegen Corona alles so anders ist."
Während des ersten Lockdowns änderte sich auch das Privatleben. "Ich habe mit meinen Freunden gefacetimed, ansonsten nur etwas mit meiner Familie und meiner besten Freundin gemacht. Ausgehen, shoppen oder ins Fitnessstudio gehen konnte man ja nicht", erzählt Elena. Im Herbst ist sie in eine eigene Wohnung gezogen, hat Möbel gekauft, bevor die Läden wieder zugemacht haben. "Wenn ich bedenke, was sich bei mir in 2020 geändert hat, dann war das ein Riesenschritt", sagt sie.
Nun, im zweiten Lockdown, schränkt sie ihre Kontakte wieder ein. "Neulich haben meine Freunde und ich online gewichtelt. Jeder hat einem anderen etwas vor die Türe gelegt. Dann haben wir in einer Videokonferenz zusammen das Geschenk ausgepackt." Anders als sonst, aber eine nette Idee...
Veronika Gefner (29) - die Lebensmittel-Verkäuferin
Die Supermärkte gehören zu den Gewinnern der Corona-Krise. Dort war und ist auch während der Lockdowns jede Menge zu tun. Für Veronika Gefner, bei Rewe Lenk in Saarn für die Obst- und Gemüseabteilung zuständig, war das Jahr also arbeitsreich. "Wir hatten mehr Kundschaft und mehr Umsatz, mussten viel mehr Ware ordern", berichtet sie. Vor Weihnachten war es sogar die doppelte Menge an Obst und Gemüse.
Anfangs war es für die 28-Jährige ungewohnt, im Laden eine Maske zu tragen. "Wenn man im Lager Sachen hin und her packt, wird es schnell heiß unter der Maske, das ist anstrengend." In der ersten Zeit habe sie auch Kopfschmerzen und schlechte Laune bekommen. "Aber dann hab' ich mich dran gewöhnt", so Veronika Gefner.
Der Kundenstrom hat seit März nicht abgenommen, auch im Sommer war es kaum ruhiger. "Die Leute sind ja nicht in Urlaub gefahren." Waren Einkäufer im ersten Lockdown vereinzelt etwas "zickig" und ranzten sich auch mal an, so seien sie jetzt gelassen. Viel gekauft werde nach wie vor. "Vor allem Kartoffeln, Möhren, Äpfel", so die Verkäuferin. "Seit die Restaurants zu sind, kochen die Leute viel mehr." Auch seltene Produkte werden gesucht. "Zum Beispiel Trüffel-Pilze. Die haben wir nicht da, ich kann sie aber für die Kunden bestellen."
Angst, sich zu infizieren, habe sie nie gehabt. Mit Handschuhen, Maske und Desinfektionsmittel habe sie sich sicher gefühlt. Vom stressigen Arbeitstag ruht sie sich zu Hause aus - bei ihrem Mann und der sechsjährigen Tochter. "Als der Kindergarten zu war, mussten wir meine Tochter beschäftigen, ihr war langweilig. Da haben wir schon mal Buchstaben und Zahlen geübt für die Schule."
Ein Betreuungsproblem habe sie glücklicherweise nie gehabt. "Meine Freundinnen sind eingesprungen. Mein Mann und ich konnten immer zur Arbeit gehen", ist Veronika Gefner dankbar. Das Freizeitleben dagegen war eingeschränkt. "Ich bin sonst gerne mit Freundinnen ausgegangen, in diesem Jahr war ich viel zu Hause oder im Garten meiner Schwägerin." Auf Urlaub hat die Familie 2020 verzichtet.
Annika Beckers (41) - die Lehrerin
Die Lehrer haben in den letzten Monaten viele Unterrichtsformate ausprobieren müssen: Homeschooling mit Hausaufgaben, Distanzunterricht mit Videokonferenzen, Präsenzunterricht mit Abstand, schließlich geteilte Klassen. "Wenn eine Hälfte der Schüler in der Schule ist und die andere zu Hause, muss man sich für beide Gruppen anders vorbereiten. Das ist schon eine Doppelbelastung", sagt die Deutsch- und Religionslehrerin sowie Beratungslehrerin und Seelsorgerin der Otto-Pankok-Schule. Es erfordere zudem mehr Organisation und Kommunikation.
Für manche Schüler, besonders für die Schüchternen, sei der Distanzunterricht gar nicht so schlecht. Sie können zu Hause Aufgaben lösen, einreichen und damit besser punkten als mit mündlicher Beteiligung in der Klasse. "Es gibt eben verschiedene Lerntypen, manche können gut alleine arbeiten, anderen fehlt die Anleitung und Motivierung", hat die Pädagogin festgestellt.
Sehr ungewohnt sei es gewesen, zu Beginn des Schuljahres neue Schüler nur mit Maske kennenzulernen. Der Mund-und-Nasenschutz wirke sich auch auf das Unterrichten aus. "Es ist schwieriger seine Mimik einzusetzen und andererseits in den Gesichtern der Schüler zu lesen." Auch in Beratungsgesprächen sei nicht immer zu erkennen, "wie belastet ein Schüler ist oder wie unglücklich".
Corona werde auch im Unterricht manchmal zum Thema gemacht. "Die Schüler beschäftigt das natürlich. Aber das Gute ist, dass offen darüber geredet wird. Jeder kann sagen, warum er sich Sorgen macht, und die anderen versuchen, es zu verstehen." Die allermeisten Schüler akzeptierten die Corona-Regeln und hielten sich tapfer. Schade sei, dass sie sich in den Pausen nicht so abreagieren können wie früher. Eins ist für Annika Beckers klar: "Schule ist mehr als Wissensvermittlung. Das Soziale, die Beziehungsebene spielt eine große Rolle. Deshalb ist Distanzunterricht langfristig keine gute Sache."
Auch im Privatleben habe sich viel geändert, berichtet die Lehrerin. Die Tochter (16) habe ihr Auslandsschuljahr nicht antreten können, ihr Mann sei komplett im Homeoffice, die beiden kleineren Kinder (7 und 8) müssten beim Spielen darauf Rücksicht nehmen. "Uns allen fehlt der Ausgleich durch Ausübung von Hobbys." Die Kinder dürfen daher auch etwas weiter entfernte Spielplätze ansteuern. Ausdrücklich "verabreden" sich alle Familienmitglieder zu Spielenachmittagen.
Gerne würde man auch wieder Kindergeburtstage feiern oder ins Schwimmbad gehen. Der erste Lockdown sei nicht so schlimm gewesen, jetzt sei es frustrierender. "Keiner weiß ja, wie es weitergeht. Ich habe nun akzeptiert, dass es eine langwierige Sache ist", sagt Annika Beckers.
Pia Wolf (31) - die Krankenschwester
Die Silvesternacht wird Pia Wolf bei der Arbeit im Evangelischen Krankenhaus verbringen: Die Pflegerin hat Dienst in der Abteilung für Geriatrie und Unfallchirurgie, auf ihrer Station liegen überwiegend alte Menschen. Mit ihnen gemeinsam wird die 31-Jährige das Jahr 2020 hinter sich lassen, 2021 begrüßen.
Aus ihrer mehr als zehnjährigen Berufserfahrung weiß sie: „Die Patienten sind oft viel nachdenklicher an solchen Tagen. Sie fragen sich, wie es mit ihnen weitergeht, vor allem die Älteren haben auch Zukunftsängste. Insgesamt gibt es mehr Redebedarf.“ Pia Wolf nutzt diese Gespräche am Krankenbett auch, um selber zu reflektieren, Bilanz zu ziehen.
Durch die Pandemie hat sich ihr Arbeitsalltag erheblich verändert, so empfindet es Pia Wolf. Doch anders als viele Kolleginnen und Kollegen sagt sie: „Es ist nicht anstrengender geworden.“ Natürlich sei die Entlassplanung jetzt aufwändiger, insbesondere, wenn die Senioren zurückgehen in ein Pflegeheim. Auch Corona-Schutzmaßnahmen sind hinzugekommen, so müssen die Pflegekräfte durchgehend FFP2-Masken tragen. „Mittlerweile haben wir uns aber alle daran gewöhnt.“ Sie fühlt sich auf diese Weise auch tatsächlich geschützt, habe persönlich keine Angst vor einer Infektion. Überstunden, die viele andere Pflegekräfte schwer belasten, habe sie bisher nicht leisten müssen, sagt die 31-Jährige.
Einschneidender erlebt sie die Beschränkungen im privaten Bereich. „Da geht es mir wie allen anderen. Ich würde gerne wieder meine Freunde regelmäßig treffen, ausgehen, Zeit in Restaurants verbringen.“ Sie bedauert insbesondere, dass sie ihre Großeltern momentan nicht besuchen kann, die in einer Pflegeeinrichtung wohnen. Sie dürfte zwar ins Altenheim, nach einem Schnelltest, verzichtet aber lieber darauf, zum Schutz der alten Leute.
Für das neue Jahr wünscht sich die Krankenschwester, dass sich möglichst viele Leute gegen Corona impfen lassen. „Ich selber habe mich schon dafür entschieden.“