Mülheim. Als die Amerikaner in Mülheim-Saarn einzogen, waren die Straßen fast leer. Nur Kinder verfolgten die Soldaten. Ein Kind von damals erinnert sich.
„Ich saß gerade bei Friseur Pit Jansen auf dem Stuhl. Der hatte sein Geschäft am Klosterkamp, heute Otto-Pankok-Straße 13. Meine Mutter hatte die erstren Amerikaner vom Fenster aus beobachtet. Wir wohnten damals im Haus Düsseldorfer Straße 109. Als ich wenig später nach Hause kam, sagte sie: ,Die Amerikaner sind da.’“ Alfons Oberdieck lief sofort zurück auf die Straße und dem Jeep hinterher. Der war Richtung Klostermarkt unterwegs. Die Saarner Geschäftsstraße war am am Mittwochmorgen, 11. April 1945, fast menschenleer. Nur ein paar Kinder waren zu sehen. Die Erwachsenen blieben in ihren Wohnungen und beobachteten die Amerikaner hinter den Gardinen der Fenster.
„In dem Jeep saßen vier Männer, einer mit einem weißen Helm und einer dicken weißen Kordel (Tresse) über der Uniform. Vielleicht war es der Hauptmann oder ein noch höherer Rang. Sie fuhren bei Schweidtmann (Bäcker), Gönner (Metzger), der Flohkiste (Kino), Von der Bey (Schmiede) und Floret (Apotheke) Richtung Klostermarkt und hielten kurz an jeder Straßeneinmündung“, erinnert sich Alfons Oberdieck.
Hortmann-Tochter sprach englisch und musste übersetzen
„Sie beobachteten die Umgebung genau. Nur wir Kinder liefen neben dem Jeep, um zu sehen, was da passierte. Auf dem Klostermarkt hielt der Wagen kurz an. Dann fuhr er weiter in die Landsberger Straße und wir Kinder liefen mit. Vor der Polizeiwache stieg der Mann mit dem weißen Helm aus. Die anderen blieben im Jeep.“
Er ging auf den Hof der Hortmanns und kam mit der Tochter zurück. Die sprach Englisch. Die Kinder verstanden nichts von der Unterhaltung. Darum kamen sie näher. „Der Hauptmann zeigte auf seine Pistole, die an seiner weißen Kordel hing. Da schreckten wir zurück“, beschreibt Oberdieck die Szene.
Kleiner Hochbunker stand schräg gegenüber der Polizeiwache
„Der Hauptmann ging mit der Hortmann-Tochter in die Polizeiwache, Landsberger Straße 16-18. Es dauerte eine Zeit, bis beide wieder herauskamen. In der Wache waren zwei ältere Männer, die die Nazis dort eingesetzt hatten. Diese beiden nahmen die Amerikaner mit auf ihrem Wagen. Damit war die Übergabe der Saarner Polizei erledigt“, blickt der Zeitzeuge zurück.
Weitere Berichte folgen
Zahlreiche Leserinnen und Leser haben sich in der Redaktion gemeldet, um ihre Erinnerungen an den Einmarsch der Amerikaner vor 75 Jahren zu schildern. Manche stimmen auch mit den Berichten anderer überein.
Wir stellen diese Zeitzeugenberichte in einer Serie vor. Wir möchten damit auch jüngere Leute über eine Zeit informieren, die sie nicht miterleben mussten. Zugleich herrscht an vielen Stellen auf der Welt immer noch Krieg.
Wir rannten zum Bunker, schräg gegenüber an der Landsberger Straße 19. Das war ein kleiner Hochbunker, wie eine dicke Kugel im Garten. Die Jungen hatten von den GIs einige Päckchen Schokolade und Kaugummi bekommen. Die Soldaten fuhren weiter Richtung Mintard. Sie suchten weiter nach den letzten versprengten Wehrmachtssoldaten.
Naziorden gegen Zigaretten getauscht
Am nächsten Tag traf Alfons Oberdieck seine Freunde. Die Jungen standen am Zaun von Bellscheidts Wiese. Heute ist die Fläche zwischen Quellen- und Langenfeldstraße mit Häusern bebaut. Dort hatten die Amerikaner ihre Panzer und Armeefahrzeuge aufgestellt. Die Straßburger Allee war ein breiter Feldweg und diente häufig als Kirmesplatz im Dorf. Der Straßenausbau folgte erst in den 1960er Jahren. Die dort einquartierten Amerikaner fragten die Saarner nach Pistolen oder Naziorden. Sie tauschten diese Gegenstände gegen Zigaretten oder Kaugummi.
„Der Einmarsch der Amerikaner hatte sich in allen Familien herumgesprochen“, erinnert sich Alfons Oberdieck. „Alle waren gespannt, was nun passieren würde. Aber es geschah nicht viel. Die Soldaten liefen durch die Straßen und beobachteten das Geschehen.“
Soldaten spielten mit Jungen ihre Streiche
Als Oberdieck nachmittags mit seinem Kumpel Jim Pothmann im Dorf vor der alten Mühle (Düsseldorfer Straße 96-98) unterwegs war, jagte ein Soldat ihnen Angst ein. ,Ich nehme Euch fest, Ihr seid verhaftet’, sagte der und nahm den Jim mit. Ich musste seinen Ausweis bei den Eltern holen und ihn zur Straßenburger Allee bringen. Dort wurde ich schon erwartet“, erinnert sich der Leser.
„Ich brachte den bedruckten Zettel auf die Stube. Der Kommandant konnte den Zettel wahrscheinlich nicht lesen und lachte uns aus, weil unsere Knie schlotterten. Mein Kumpel hatte noch den Besen in der Hand. Er hatte die Stube ausfegen müssen. Wenig später waren wir wieder unten und rannten über die Lehnerstraße bis zur Tankstelle (heute Pastor-Luhr-Platz) hinunter. Die Amerikaner hatten uns einen Streich gespielt.
Gute Kontakte zu den Zwangsarbeitern
Mit allen Gefangenen, die in Saarn zwangsarbeiten mussten (Franzosen und Russen), hatte die Familie einen guten Kontakt. „Wir haben ihnen mit Kleiderreparaturen geholfen und erhielten dafür gebasteltes Spielzeug. Als die Lager aufgelöst wurden, kamen sogar einige zu uns in die Wohnung, um sich zu verabschieden“, ergänzt Oberdieck.